Sich berühren lassen – heute
Meditation kann also ein Mittel (aber keineswegs das Einzige) sein, sich intensiv emotional berühren zu lassen. Dabei können die in einer Meditation thematisierten Einsichten uns natürlich auch dann berühren, wenn sie sich nicht auf in Einsamkeit erlebte Offenbarungen beziehen, sondern auf Überzeugungen und Erkenntnisse, die gewonnen wurden in der Auseinandersetzung mit Lebensfragen und in Diskussionen mit anderen Menschen, durch Inspiration von Literatur, Kunst, Wissenschaft oder Philosophie.
Und uns kann es wichtig sein (muss es aber nicht), dass diese Überzeugungen und Einsichten auch hinterfragbar sind. Dass für ihre Wahrheit nachvollziehbare Gründe sprechen, die – neben der Meditationserfahrung – einen Dialog erlauben, der nicht begrenzt wird durch die Berufung auf einen besonderen, sehr exklusiven (weil nur durch Meditation möglichen) Zugang zu einer Überzeugung.
Jede für einen Menschen wichtige Erkenntnis kann also mit Hilfe von Meditation vertieft werden, jede*r kann sie sich so in einer sehr besonderen Weise zu eigen machen.
Er wird dann sagen: Jetzt erst verstehe ich es wirklich oder zumindest besser – z. B. ein Teil einer großen ganzen Natur zu sein. Oder er wird – viel mehr als zuvor – ein Einsehen in die Endlichkeit des Lebens haben. Oder über das Wunder des Lebens nicht nur intellektuell staunen, sondern immer wieder in besonderer Weise berührt werden.
Menschen können sich in der Meditation etwa den Blick in den Sternenhimmel vergegenwärtigen und dabei Demut spüren. Sie werden dabei zwar keine neuen Wahrheiten über den Kosmos entdecken; sie können aber sehr wohl davon berührt werden, was dieser Sternenhimmel – und zwar für sie persönlich – bedeutet. Dies allerdings ohne den Anspruch, dass er diese Bedeutung auch für jemanden anderen hat. Und natürlich wird dieses Erleben (wie jedes andere in einer Meditation) auch davon abhängen, welches Wissen einer Meditierenden zuvor über den Kosmos vermittelt wurde.
Es macht einen Unterschied, ob der Beobachtung, die Sterne an festen Schalen fixiert zugrunde liegt, die verschiedene Götterwelten voneinander abgrenzen oder als Milliarden von Lichtjahren entfernte Galaxien unendlicher Weite und Größe.
In der Meditation kann auf diese Weise Verschiedenes zum Fokus werden und so unser Leben bereichern und vertiefen. Gefühle, die uns wichtig sind, Fragen, die uns bewegen und Antworten, die wir für uns persönlich gefunden haben; mit denen wir uns vielleicht zuvor in Kommunikation, über heutiges Wissen und mithilfe unserer Vernunftbegabung auseinandergesetzt haben, dies nun aber auch in einer dafür geeigneten Praxis in der Meditation machen wollen, um dadurch mehr davon und auf anderer Ebene zu verstehen. Das kann existenzielle Lebensfragen betreffen, wie die nach unserer Ortung in der Welt, dem Tod, der Vergänglichkeit oder kann unsere ethischen Überzeugungen thematisieren.
So lässt sich auf andere Weise als im Dialog oder Nachdenken erkunden, was für uns etwa Freiheit, Würde oder Liebe bedeutet. Oder was uns im Leben gerade wichtig ist – oder sein soll. Der Fokus einer Meditation kann ebenso eine Zukunftsvision sein, die Erinnerung an einen berührenden Moment vom vorherigen Tag oder der Wunsch nach Verbindung mit einem wichtigen Menschen, mit Gott, der Natur. Was die alten Traditionen uns Wertvolles lehren können, ist also dies:
Mit Hilfe einer entsprechenden Meditationspraxis kann ich mich von etwas auf besondere Weise berühren lassen, um etwas Gewusstes zu verinnerlichen, um zu erforschen, erspüren und erleben, was es für mich bedeutet und um es mir regelmäßig zu vergegenwärtigen.
Alle dabei in der Meditation aufkommenden Erfahrungen haben allerdings die gleiche Eigenschaft wie jedes andere menschliche Erleben: Sie erwachsen aus den Fähigkeiten unseres Geistes wie Wahrnehmung, Vorstellungskraft und Erinnerung. Sie sind gefärbt von unserer persönlichen Lebensgeschichte, unserer sozialen Einbettung und Kultur. Im Wissen, das uns diese Erfahrungen vermitteln, existiert – wie in jedem anderen Wissen auch – immer die Möglichkeit des Irrtums. Und was uns in Bezug auf unsere Gefühle wohl vertraut ist, gilt auch für jede Erfahrung in einer Meditation: Aus ihrer Intensität kann nicht abgeleitet werden, wie viel Wahrheit in dem liegt, worauf sie gründet. Und einem in manchen Traditionen gerne gepflegten Mythos gilt es entgegenzutreten:
Tiefe berührende Einsichten und ergreifendes Staunen sind keine Erfahrungen, die nur Meditation Praktizierenden vorbehalten sind.
Sie sind vielmehr Teil des Alltags vieler Menschen, denen es auch ohne Übungspraxis immer wieder einmal geschieht, in eine innere Gestimmtheit von ungestörter Ausrichtung und Offenheit zu geraten.
In der Regel neigen Menschen, die dies erleben, allerdings eher selten dazu, aus solchen Erfahrungen gleich komplexe Weltanschauungen oder ewige Wahrheiten zu formen. Ein weiterer wertvoller Schatz, den wir den Traditionen verdanken, betrifft die praktische Umsetzung des Wie des Meditierens.
Wir werden von den Traditionen mit einem großen und inspirierenden Gabentisch voller unterschiedlicher Meditationsformen beschenkt und lernen gleichzeitig, dass Meditation trotz aller Vielfalt Üben bedeutet.
Als Praxis verlangt sie eine möglichst feste, einfach wiederholbare Struktur (man könnte es auch Ritual nennen), an der entlang des Übens die dafür notwendige mentale Ausrichtung organisiert wird. Allerdings ergeben sich aus dem Transfer von Meditation in den Westen und der damit verbundenen Herauslösung aus ihrem ursprünglich religiösen Kontext auch neue Ansprüche an die Vermittlung dieser Praxis. Sie folgen den hier aufgezeigten Unterschieden jenes Rahmens, in dem hier und heute im Zusammenhang von Yoga Meditation gelehrt wird.
Anders als in einem Kloster oder Ashram können wir beim Unterrichten keinen einheitlichen Glauben, keine einheitliche Weltsicht voraussetzen. Für Meditationen, bei denen es um die Verinnerlichung bestimmter Überzeugungen, Vorstellungen oder Weltsichten geht, sollte in der Erarbeitung einer Meditationspraxis das ganz persönliche Anliegen eines Menschen im Mittelpunkt stehen und dies auf dem Hintergrund seiner eigenen Anliegen, Überzeugungen und Fragen. Und das bedeutet auch: Die Koordinaten, an denen sich die Entwicklung einer wirksamen Praxis zu orientieren hat, lassen sich schließlich finden in der persönlichen Erfahrung eines bestimmten Menschen in seinem Üben und den daraus erwachsenden Ergebnissen – und nicht etwa im Nachvollzug vorgegebener Konzepte oder vorgeblich ewiger Wahrheiten.
An dieser persönlichen Erfahrung und der tatsächlich erlebten Wirkung einer Praxis zeigt sich auch, ob ein Fokus einer Meditation der richtige ist, ob ihre gewählte Struktur die angemessene ist. ▼