Individualisieren – trotz Beschwerden im Gruppenunterricht

Ein junger Mann mit einem massiven Schulterproblem hat aufgrund der vielen positiven Nachrichten über Yoga Interesse am Gruppenunterricht. Was also, wenn er sich zum Gruppenunterricht anmelden würde?

Ginge es ihm darum, trotz und nicht wegen seiner Einschränkungen Yoga zu üben, stünden die Chancen gut, dass er von einem wöchentlichen Unterricht profitiert. Vorausgesetzt, er trifft auf einen Lehrer, eine Lehrerin, die über eine mehrfache Kompetenz verfügt: nämlich sein gesundheitliches Problem zu erfassen und im Unterricht kreativ und angemessen Yogaübungen anzubieten.

Individualisieren – trotz Beschwerden im Gruppenunterricht

Ein junger Mann mit einem massiven Schulterproblem hat aufgrund der vielen positiven Nachrichten über Yoga Interesse am Gruppenunterricht. Was also, wenn er sich zum Gruppenunterricht anmelden würde?

Ginge es ihm darum, trotz und nicht wegen seiner Einschränkungen Yoga zu üben, stünden die Chancen gut, dass er von einem wöchentlichen Unterricht profitiert. Vorausgesetzt, er trifft auf einen Lehrer, eine Lehrerin, die über eine mehrfache Kompetenz verfügt: nämlich sein gesundheitliches Problem zu erfassen und im Unterricht kreativ und angemessen Yogaübungen anzubieten.

Individualisieren – trotz Beschwerden im Gruppenunterricht

Ein junger Mann mit einem massiven Schulterproblem hat aufgrund der vielen positiven Nachrichten über Yoga Interesse am Gruppenunterricht. Was also, wenn er sich zum Gruppenunterricht anmelden würde?

Ginge es ihm darum, trotz und nicht wegen seiner Einschränkungen Yoga zu üben, stünden die Chancen gut, dass er von einem wöchentlichen Unterricht profitiert. Vorausgesetzt, er trifft auf einen Lehrer, eine Lehrerin, die über eine mehrfache Kompetenz verfügt: nämlich sein gesundheitliches Problem zu erfassen und im Unterricht kreativ und angemessen Yogaübungen anzubieten.

Von der Yogatherapie lernen

Angenommen, dieser junge Mann mit seinem Schulterproblem möchte gerne am Yogagruppenunterricht teilnehmen. Er sucht dort nach Bewegung und Entspannung. Weil die oder der Unterrichtende verantwortlich mit der Yogaarbeit umgeht, wird vor jeder Aufnahme einer neuen Person in eine bestehende Gruppe ein mehr oder weniger kurzes Gespräch mit der Person geführt. Es hilft, sich einen ersten Eindruck von deren Anliegen zu verschaffen und davon, ob und welche Einschränkungen oder Probleme die/der neue TeilnehmerIn mitbringt. Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang wichtig:

  • Wie sehr und wann beeinträchtigen sie das alltägliche Leben?
  • Wie lange besteht es schon und vor allem, was ist der aktuelle Stand? Die Frage nach einer vorausgegangenen Inanspruchnahme einer Ärztin, eines Arztes, kann ebenfalls hilfreich sein. Oft gibt es Diagnosen und Vorbehandlungen.

Nach diesem kurzen Eingangsgespräch ist schon einiges bekannt: Seit mehreren Monaten hat der Mann häufig Schmerzen in der linken Schulter. Das Halten seines Blasinstruments mit dem linken Arm verstärkt die Schmerzen – das Üben, die Orchesterproben und die Auftritte sind eine Qual. Das Anheben des Arms über vorn ist sehr eingeschränkt, über die Seite ist die Bewegung dagegen bis fast nach oben frei. Fahrradfahren (Druck auf den Schulterbereich) und Schwim­men (Anspannen der Schultermuskeln gegen einen Widerstand) beeinflussen die Schmerzen ebenfalls negativ. Auch das Liegen auf der Seite, nachts oder beim Ausruhen am Tag, verstärkt den Schmerz. Und: Wie so oft verschlechtert auch jede Form von Stress den Zustand.

Besser werden die Beschwerden dagegen, wenn der Mann sich auf dem Rücken liegend ausruht und entspannt oder wenn er sich durch eine angenehme einfache Tätigkeit ablenkt. Die medizinische Diagnostik hat keine Klärung der Ursache erbracht und diverse therapeutische Maßnahmen wie Spritzen und Physiotherapie haben ebenfalls keinen Erfolg gebracht. Außerdem vermittelt er: Da seit geraumer Zeit die sportlichen Aktivitäten unmöglich geworden sind, wünscht er sich jetzt vom Yogaunterricht neben Entspannung auch Bewegung.

Für klare Verhältnisse sorgen

Aus all diesen Informationen zieht die Kollegin/der Kollege den Schluss: Ein Mitüben in der Gruppe ist möglich. Bedenken bestünden nur, wenn zu viele TeilnehmerInnen in der angefragten Gruppe wären, die einer besonderen Beachtung bedürfen. Oder wenn der neue Teilnehmer noch weitere gravierende Einschränkungen mitbringen würde – zum Beispiel, wenn er zusätzlich ein Knie nicht belasten könnte und chronische Rückenschmerzen hätte. Die dafür notwendige Zuwendung beim Unterrichten wäre dann wahrscheinlich doch zu groß und ginge auf Kosten aller anderen Übenden in der Gruppe.

Mit dem Schulterproblem allein kann er jedoch gut mitüben. Dabei sind einige Themen zu beachten.

Das Erste betrifft den Umgang mit dem Schmerz. Um dem neuen Teilnehmer durch Yogaübungen nicht zu schaden, wird jedes Auslösen von Schmerz oder dessen Verstärkung zu vermeiden sein. Die Erfahrung und die Schmerzforschung lehren inzwischen, wie unausweichlich wiederholt ausgelöste Schmerzreize die Chronifizierung der Beschwerden befördern. Der bloße Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Kursteilnehmer beim Üben hilft hier nicht weiter. Welche Übungen Schmerz auslösen oder verstärken könnten, kann allein die oder der Unterrichtende einschätzen. Sie sind die Experten und kennen die Anforderungen, die in bestimmten Āsana liegen.

Daraus leitet sich gleich das nächste Thema ab: Das Üben für den neuen Teilnehmer wird sich immer wieder von dem der restlichen Gruppe deutlich unterscheiden. Deshalb muss er vorab erfahren, dass er viele der angebotenen Übungen der Form nach anders ausführen wird als alle anderen TeilnehmerInnen; er wird besondere Ansagen bekommen, gelegentlich auch andere Übungen.

Das leitet über zum nächsten Thema, einer weiteren Herausforderung: Eine Außenseiterrolle wird geschaffen. Sie ist häufig schwer zu akzeptieren, aber er wird sie hinnehmen müssen. Gelegentlich gibt es TeilnehmerInnen, die dies sogar genießen können; meistens jedoch ist diese Position unangenehm. Es wird Zeit benötigen, um zu vermitteln, dass die angestrebte Art des Übens die einzig sinnvolle und zielführende ist. Hinweise darauf, dass es auch andere TeilnehmerInnen in der Gruppe gibt, die – dauerhaft oder zeitweise – abweichend üben, können dabei entlastend wirken.

Schließlich gilt es noch, einen Konflikt auf gute Weise zu lösen, der an einem wichtigen Grundsatz von Yogaunterricht rührt. Es geht dabei um das schon angesprochene Thema der Selbstständigkeit im Üben. Auch im Gruppenunterricht soll es gelingen, den TeilnehmerInnen mehr Selbstständigkeit und Kompetenz in ihren Selbsteinschätzungen und Entscheidungen beim Üben zu vermitteln. Wer in seinem/ihrem Bewegungsspielraum durch eine Behinderung eingeschränkt ist, kann nur schwer einschätzen, welche Übungen oder Varianten sinnvoll sind und welche nicht. Es fehlt dafür an Wissen um die Anforderungen, die in den verschiedenen Āsana stecken. Die Problematik ist bei vorliegenden Beschwerden oft nicht einfach erkennbar. Die Verantwortung für ein gesundes Üben der TeilnehmerInnen liegt deshalb erst einmal in hohem Maße bei den Unterrichtenden. Selbstständigkeit im Üben sieht anders aus. Das ist eine ungewöhnliche Situation für beide Seiten.

Diese Themen werden nicht ein für alle Mal in einem einzigen Gespräch abgeklärt werden können, sondern sich immer wieder in konkreten Situationen des Unterrichts neu stellen.

Die Reaktion auf Übungsvorschläge im Auge behalten

Eine unerwünschte Reaktion auf eine Anforderung, die in einem Āsana oder einem Vinyāsa liegt, lässt sich nie ganz ausschließen. Sie kann unmittelbar beim Üben eintreten; dann bedarf es darüber auch unmittelbar einer kurzen Kommunikation. Sie kann aber auch erst im Nachklang eines Yogakurses auftreten; darüber gilt es ebenfalls zu reden. Der neue Teilnehmer sollte den Hinweis bekommen, dass es hilfreich ist, wenn er gegebenenfalls von sich aus die Sprache darauf bringt.

Ein Beispiel

Am Beispiel eines Kurses soll exemplarisch gezeigt werden, wie der neue Teilnehmer in einer Gruppe mitüben könnte, die schon seit mehreren Monaten regelmäßig einmal wöchentlich übt.

Im Umgang mit Schmerzen gilt auch hier zuerst: Weglassen, was die Schmerzen auslösen könnte. Ein erster Blick auf den Kurs zeigt (Abb. 1), dass unter dieser Prämisse viele der Übungen in der angedachten Form wahrscheinlich nicht funktionieren würden und verändert werden sollten.

Ein Kurs für utthita pārśva konāsana und ūrdhva prasṛta pādāsana.
Abb. 1

Kann er also doch nicht mitmachen? Er kann, aber es braucht einen zweiten Schritt. Es gilt zuerst zu klären, welcher Aspekt des Āsanas, genauer: Welche seiner konkreten Anforderungen sind es, die sich mit dem vorliegenden Schulterproblem nicht vertragen? Erst dann kann für jedes Āsana entschieden werden, ob oder wie eine Anforderung so verändert werden kann, dass sie keinen Schaden anrichtet. Die wesentliche Intention der Übung sollte dennoch erhalten bleiben. Manchmal ist eine solche Anpassung nicht möglich. Dann gilt es, zu entscheiden, welche Übung stattdessen einen sinnvollen Platz im Kurs einnehmen kann?

Bei der Betrachtung der einzelnen Āsana wird der Blick zunächst auf die Bewegung der Arme und die Belastung der Schultern gerichtet. Das beginnt schon in der ersten Übung. Das Bewegen der Arme nach hinten ist nicht möglich (Abb. 2).

Vinyāsa aus der Rückenlage mit einfacher Armbewegung.
Abb. 2

Ein lockeres Ablegen nahe am Körper bietet hier einen einfach zu vermittelnden Ersatz (Abb. 3).

Vinyāsa aus der Rückenlage mit einfacher Armbewegung seitlich..
Abb. 3

Im anschließenden Vinyāsa (Abb. 4) verlangen cakravākāsana und adhomukha śvānāsana eine gute Belastbarkeit der Schultergelenke, adhomukha śvānāsana zudem eine große Bewegung der Arme über vorn – alles Anforderungen, die der Teilnehmer nicht bewältigen kann. Und nun? Am naheliegendsten scheint die Lösung, die beiden letzten Āsana des Vinyāsas einfach wegzulassen und das starke Anheben der Arme über vorn durch ein leichtes Anheben über die Seite zu ersetzen.

Vinyāsa aus cakravākāsana und adhomukha śvānāsana.
Abb. 4

Wenn jedoch vorher geklärt wird, was eigentlich die Funktion dieses Vinyāsas im Kurs ist, erscheint eine Alternative passender. Das Vinyāsa dient der körperlichen Aufwärmung und soll helfen, in größerer Bewegung Atem und Bewegung zu verbinden, Atemräume zu öffnen und Ausrichtung zu binden.

Dafür eignet sich am besten ein ­Vinyāsa aus dem Stand mit einem ähnlichen Wechsel zwischen Vorbeuge und Rückbeuge und größerer Bewegung, wie es der eigentlich vorgesehene Ablauf bietet. Zwei Möglichkeiten stehen zur Wahl (Abb. 5). Die eine kommt ohne Hocker aus, die andere nutzt den Hocker als Ablage der Hände. In beiden dienen die Hände nicht als Stütze (Schulterbelastung), sondern das Anheben des Oberkörpers geschieht allein mithilfe der Rückenkraft.

Vinyāsa aus dem Stand mit einem ähnlichen Wechsel zwischen Vorbeuge und Rückbeuge.
Abb. 5


In der nötigen Variation des Vinyāsa zur Intensivierung des Aufwärmens (Übung 3) kann an den vorherigen Ablauf angeknüpft werden. Der Schritt in das vīrabhadrāsana am Boden verlangt in beiden Varianten (Hände auf dem Knie oder Hocker) kein Abstützen des Oberkörpers durch die Arme. Im vīrabhadrāsana selbst wird die Armposition schließlich entsprechend angepasst. Die Hände können auf dem Knie bzw. Hocker bleiben oder locker neben dem Körper ausgebreitet werden.

Das Utthita trikoṇāsana in Übung 4 ist eine Vorbereitung für das später folgende utthita pārśva konāsana (6.) Es stellt keine besonderen Herausforderungen an den Teilnehmer; er sollte sie ohne Probleme mitüben können. Das Gleiche gilt für utkatāsana in Übung 5, es ist einerseits Ausgleich für utthita trikoṇāsana und zum anderen eine weitere Vorbereitung für utthita pārśva konāsana, das dann eine noch intensivere, weil statische Kniebeugung im Stand fordert. Dieses Utthita pārśva konāsana soll dann über einige Atemzüge gehalten werden.

Der neue Teilnehmer wird den oberen Arm nicht über den Kopf hinweg bewegen können – aber vermutlich (wie in Übung 4) auf der Körperseite locker ablegen können. Da es ohne den erhobenen Arm jedoch schwieriger ist, das Gleichgewicht in dieser Position zu halten, wird dem jungen Mann eine viel intensivere Erfahrung im utthita pārśva konāsana möglich werden, wenn er zur Stabilisierung die Hand auf einem Hocker ablegt. Allerdings wird die Seitneigung nur so weit gehen dürfen, wie er sich dabei nicht abstützen muss (Abb. 6).

Utthita pārśva konāsana mit Hocker.
Abb. 6

Im folgenden uttānāsana (Abb. 7) wird die Rotation der Schultern beim Ablegen der Hände auf dem Rücken vermieden (Schmerzen bei Innenrotation der Schultern).

Uttānāsana mit abgelegten Händen auf dem Rücken.
Abb. 7

Da zudem nicht klar ist, wie viel Bewegung im Kurs insgesamt schließlich die Schulter überfordert, kann es sinnvoll sein, in der einen oder anderen Übungen überhaupt auf Armbewegungen zu verzichten. Eine einfache Möglichkeit ist hier, die Hände beim Vorwärtsbeugen einfach zu den Knien hinuntergleiten zu lassen (Abb. 8).

Uttānāsana, Vorbeuge, mit den Händen zu den Knien abgelegt.
Abb. 8

Für ūrdhva prasṛta pādāsana (Abb. 9) braucht der Teilnehmer erneut nur den Hinweis, dass die Arme statt nach hinten zu bewegen neben den Körper abgelegt werden können.

Abb. 9

Das zweite statisch praktizierte Āsana, jaṭhara parivṛtti (Abb. 11) wird mit einer einfachen Variante des Āsanas selbst vorbereitet (Abb. 10). Hier braucht es keine Veränderungen, wenn der Teilnehmer, wie alle anderen auch, die Arme bequem in Position bringt. Allerdings ist eine Rückfrage angebracht, ob der Zug auf den Schulterbereich Beschwerden verursacht oder nicht.

Jaṭhara parivṛtti, eine Drehung aus der Rückenlage.
Abb. 10


Etwas anders sieht es in der statischen Form von ­jaṭhara parivṛtti aus (Abb. 11). Hier wird die Vorderseite der Schultern deutlich stärker gedehnt und vor allem: Eine Dosierung dieser Dehnung ist schwer möglich, die Schwerkraft zieht die gebeugten Beine und den gegenüberliegenden Arm in Richtung Boden. Für dieses Āsana wird der Teilnehmer also noch einmal die besondere Aufmerksamkeit der Lehrerin, des Lehrers benötigen. Es gilt dann ad hoc herauszufinden, ob die Übung so mit geübt werden kann.

Jaṭhara parivṛtti, eine Drehung aus der Rückenlage mit gestreckten Bein.
Abb. 11


Als erster Ausgleich für jaṭhara parivṛtti folgt cakravākāsana (Abb. 12). Da es große Last auf die Schultern bringt, ist es für den Teilnehmer ungeeignet.

Vinyāsa mit cakravākāsana.
Abb. 12

Stattdessen wird er von einem kurzen Vinyāsa profitieren, von dem weiter oben die Rede war (Abb. 13).

Vorbeuge aus dem Kniestand
Abb. 13

Dvipāda pīṭham, die Schulterbrücke, (Abb. 14) als weiterer Ausgleich für die starke Beugung in den Hüftgelenken braucht nur eine leichte Abwandlung – die Arme bleiben neben dem Körper liegen.

Dvipāda pīṭham, die Schulterbrücke.
Abb. 14

Die beiden letzten Übungen, apanāsana und śavāsana (Abb. 14) stellen keine weiteren Ansprüche an Anpassung oder Ersatz.

Abb. 15

So angepasst kann der Teilnehmer gemeinsam mit allen anderen den Kurs beschließen. Und auch wenn seine Schulterschmerzen von diesem Kurs nicht besser werden – seine Anliegen an Bewegung und Entspannung dürften erfüllt werden, darüber hinaus wird er alle anderen Wirkungen einer angemessenen Yogapraxis erfahren und genießen können. ▼

Dieser Artikel ist ursprünglich
erschienen in

Von der Yogatherapie lernen

Angenommen, dieser junge Mann mit seinem Schulterproblem möchte gerne am Yogagruppenunterricht teilnehmen. Er sucht dort nach Bewegung und Entspannung. Weil die oder der Unterrichtende verantwortlich mit der Yogaarbeit umgeht, wird vor jeder Aufnahme einer neuen Person in eine bestehende Gruppe ein mehr oder weniger kurzes Gespräch mit der Person geführt. Es hilft, sich einen ersten Eindruck von deren Anliegen zu verschaffen und davon, ob und welche Einschränkungen oder Probleme die/der neue TeilnehmerIn mitbringt. Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang wichtig:

  • Wie sehr und wann beeinträchtigen sie das alltägliche Leben?
  • Wie lange besteht es schon und vor allem, was ist der aktuelle Stand? Die Frage nach einer vorausgegangenen Inanspruchnahme einer Ärztin, eines Arztes, kann ebenfalls hilfreich sein. Oft gibt es Diagnosen und Vorbehandlungen.

Nach diesem kurzen Eingangsgespräch ist schon einiges bekannt: Seit mehreren Monaten hat der Mann häufig Schmerzen in der linken Schulter. Das Halten seines Blasinstruments mit dem linken Arm verstärkt die Schmerzen – das Üben, die Orchesterproben und die Auftritte sind eine Qual. Das Anheben des Arms über vorn ist sehr eingeschränkt, über die Seite ist die Bewegung dagegen bis fast nach oben frei. Fahrradfahren (Druck auf den Schulterbereich) und Schwim­men (Anspannen der Schultermuskeln gegen einen Widerstand) beeinflussen die Schmerzen ebenfalls negativ. Auch das Liegen auf der Seite, nachts oder beim Ausruhen am Tag, verstärkt den Schmerz. Und: Wie so oft verschlechtert auch jede Form von Stress den Zustand.

Besser werden die Beschwerden dagegen, wenn der Mann sich auf dem Rücken liegend ausruht und entspannt oder wenn er sich durch eine angenehme einfache Tätigkeit ablenkt. Die medizinische Diagnostik hat keine Klärung der Ursache erbracht und diverse therapeutische Maßnahmen wie Spritzen und Physiotherapie haben ebenfalls keinen Erfolg gebracht. Außerdem vermittelt er: Da seit geraumer Zeit die sportlichen Aktivitäten unmöglich geworden sind, wünscht er sich jetzt vom Yogaunterricht neben Entspannung auch Bewegung.

Für klare Verhältnisse sorgen

Aus all diesen Informationen zieht die Kollegin/der Kollege den Schluss: Ein Mitüben in der Gruppe ist möglich. Bedenken bestünden nur, wenn zu viele TeilnehmerInnen in der angefragten Gruppe wären, die einer besonderen Beachtung bedürfen. Oder wenn der neue Teilnehmer noch weitere gravierende Einschränkungen mitbringen würde – zum Beispiel, wenn er zusätzlich ein Knie nicht belasten könnte und chronische Rückenschmerzen hätte. Die dafür notwendige Zuwendung beim Unterrichten wäre dann wahrscheinlich doch zu groß und ginge auf Kosten aller anderen Übenden in der Gruppe.

Mit dem Schulterproblem allein kann er jedoch gut mitüben. Dabei sind einige Themen zu beachten.

Das Erste betrifft den Umgang mit dem Schmerz. Um dem neuen Teilnehmer durch Yogaübungen nicht zu schaden, wird jedes Auslösen von Schmerz oder dessen Verstärkung zu vermeiden sein. Die Erfahrung und die Schmerzforschung lehren inzwischen, wie unausweichlich wiederholt ausgelöste Schmerzreize die Chronifizierung der Beschwerden befördern. Der bloße Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Kursteilnehmer beim Üben hilft hier nicht weiter. Welche Übungen Schmerz auslösen oder verstärken könnten, kann allein die oder der Unterrichtende einschätzen. Sie sind die Experten und kennen die Anforderungen, die in bestimmten Āsana liegen.

Daraus leitet sich gleich das nächste Thema ab: Das Üben für den neuen Teilnehmer wird sich immer wieder von dem der restlichen Gruppe deutlich unterscheiden. Deshalb muss er vorab erfahren, dass er viele der angebotenen Übungen der Form nach anders ausführen wird als alle anderen TeilnehmerInnen; er wird besondere Ansagen bekommen, gelegentlich auch andere Übungen.

Das leitet über zum nächsten Thema, einer weiteren Herausforderung: Eine Außenseiterrolle wird geschaffen. Sie ist häufig schwer zu akzeptieren, aber er wird sie hinnehmen müssen. Gelegentlich gibt es TeilnehmerInnen, die dies sogar genießen können; meistens jedoch ist diese Position unangenehm. Es wird Zeit benötigen, um zu vermitteln, dass die angestrebte Art des Übens die einzig sinnvolle und zielführende ist. Hinweise darauf, dass es auch andere TeilnehmerInnen in der Gruppe gibt, die – dauerhaft oder zeitweise – abweichend üben, können dabei entlastend wirken.

Schließlich gilt es noch, einen Konflikt auf gute Weise zu lösen, der an einem wichtigen Grundsatz von Yogaunterricht rührt. Es geht dabei um das schon angesprochene Thema der Selbstständigkeit im Üben. Auch im Gruppenunterricht soll es gelingen, den TeilnehmerInnen mehr Selbstständigkeit und Kompetenz in ihren Selbsteinschätzungen und Entscheidungen beim Üben zu vermitteln. Wer in seinem/ihrem Bewegungsspielraum durch eine Behinderung eingeschränkt ist, kann nur schwer einschätzen, welche Übungen oder Varianten sinnvoll sind und welche nicht. Es fehlt dafür an Wissen um die Anforderungen, die in den verschiedenen Āsana stecken. Die Problematik ist bei vorliegenden Beschwerden oft nicht einfach erkennbar. Die Verantwortung für ein gesundes Üben der TeilnehmerInnen liegt deshalb erst einmal in hohem Maße bei den Unterrichtenden. Selbstständigkeit im Üben sieht anders aus. Das ist eine ungewöhnliche Situation für beide Seiten.

Diese Themen werden nicht ein für alle Mal in einem einzigen Gespräch abgeklärt werden können, sondern sich immer wieder in konkreten Situationen des Unterrichts neu stellen.

Die Reaktion auf Übungsvorschläge im Auge behalten

Eine unerwünschte Reaktion auf eine Anforderung, die in einem Āsana oder einem Vinyāsa liegt, lässt sich nie ganz ausschließen. Sie kann unmittelbar beim Üben eintreten; dann bedarf es darüber auch unmittelbar einer kurzen Kommunikation. Sie kann aber auch erst im Nachklang eines Yogakurses auftreten; darüber gilt es ebenfalls zu reden. Der neue Teilnehmer sollte den Hinweis bekommen, dass es hilfreich ist, wenn er gegebenenfalls von sich aus die Sprache darauf bringt.

Ein Beispiel

Am Beispiel eines Kurses soll exemplarisch gezeigt werden, wie der neue Teilnehmer in einer Gruppe mitüben könnte, die schon seit mehreren Monaten regelmäßig einmal wöchentlich übt.

Im Umgang mit Schmerzen gilt auch hier zuerst: Weglassen, was die Schmerzen auslösen könnte. Ein erster Blick auf den Kurs zeigt (Abb. 1), dass unter dieser Prämisse viele der Übungen in der angedachten Form wahrscheinlich nicht funktionieren würden und verändert werden sollten.

Ein Kurs für utthita pārśva konāsana und ūrdhva prasṛta pādāsana.
Abb. 1

Kann er also doch nicht mitmachen? Er kann, aber es braucht einen zweiten Schritt. Es gilt zuerst zu klären, welcher Aspekt des Āsanas, genauer: Welche seiner konkreten Anforderungen sind es, die sich mit dem vorliegenden Schulterproblem nicht vertragen? Erst dann kann für jedes Āsana entschieden werden, ob oder wie eine Anforderung so verändert werden kann, dass sie keinen Schaden anrichtet. Die wesentliche Intention der Übung sollte dennoch erhalten bleiben. Manchmal ist eine solche Anpassung nicht möglich. Dann gilt es, zu entscheiden, welche Übung stattdessen einen sinnvollen Platz im Kurs einnehmen kann?

Bei der Betrachtung der einzelnen Āsana wird der Blick zunächst auf die Bewegung der Arme und die Belastung der Schultern gerichtet. Das beginnt schon in der ersten Übung. Das Bewegen der Arme nach hinten ist nicht möglich (Abb. 2).

Vinyāsa aus der Rückenlage mit einfacher Armbewegung.
Abb. 2

Ein lockeres Ablegen nahe am Körper bietet hier einen einfach zu vermittelnden Ersatz (Abb. 3).

Vinyāsa aus der Rückenlage mit einfacher Armbewegung seitlich..
Abb. 3

Im anschließenden Vinyāsa (Abb. 4) verlangen cakravākāsana und adhomukha śvānāsana eine gute Belastbarkeit der Schultergelenke, adhomukha śvānāsana zudem eine große Bewegung der Arme über vorn – alles Anforderungen, die der Teilnehmer nicht bewältigen kann. Und nun? Am naheliegendsten scheint die Lösung, die beiden letzten Āsana des Vinyāsas einfach wegzulassen und das starke Anheben der Arme über vorn durch ein leichtes Anheben über die Seite zu ersetzen.

Vinyāsa aus cakravākāsana und adhomukha śvānāsana.
Abb. 4

Wenn jedoch vorher geklärt wird, was eigentlich die Funktion dieses Vinyāsas im Kurs ist, erscheint eine Alternative passender. Das Vinyāsa dient der körperlichen Aufwärmung und soll helfen, in größerer Bewegung Atem und Bewegung zu verbinden, Atemräume zu öffnen und Ausrichtung zu binden.

Dafür eignet sich am besten ein ­Vinyāsa aus dem Stand mit einem ähnlichen Wechsel zwischen Vorbeuge und Rückbeuge und größerer Bewegung, wie es der eigentlich vorgesehene Ablauf bietet. Zwei Möglichkeiten stehen zur Wahl (Abb. 5). Die eine kommt ohne Hocker aus, die andere nutzt den Hocker als Ablage der Hände. In beiden dienen die Hände nicht als Stütze (Schulterbelastung), sondern das Anheben des Oberkörpers geschieht allein mithilfe der Rückenkraft.

Vinyāsa aus dem Stand mit einem ähnlichen Wechsel zwischen Vorbeuge und Rückbeuge.
Abb. 5


In der nötigen Variation des Vinyāsa zur Intensivierung des Aufwärmens (Übung 3) kann an den vorherigen Ablauf angeknüpft werden. Der Schritt in das vīrabhadrāsana am Boden verlangt in beiden Varianten (Hände auf dem Knie oder Hocker) kein Abstützen des Oberkörpers durch die Arme. Im vīrabhadrāsana selbst wird die Armposition schließlich entsprechend angepasst. Die Hände können auf dem Knie bzw. Hocker bleiben oder locker neben dem Körper ausgebreitet werden.

Das Utthita trikoṇāsana in Übung 4 ist eine Vorbereitung für das später folgende utthita pārśva konāsana (6.) Es stellt keine besonderen Herausforderungen an den Teilnehmer; er sollte sie ohne Probleme mitüben können. Das Gleiche gilt für utkatāsana in Übung 5, es ist einerseits Ausgleich für utthita trikoṇāsana und zum anderen eine weitere Vorbereitung für utthita pārśva konāsana, das dann eine noch intensivere, weil statische Kniebeugung im Stand fordert. Dieses Utthita pārśva konāsana soll dann über einige Atemzüge gehalten werden.

Der neue Teilnehmer wird den oberen Arm nicht über den Kopf hinweg bewegen können – aber vermutlich (wie in Übung 4) auf der Körperseite locker ablegen können. Da es ohne den erhobenen Arm jedoch schwieriger ist, das Gleichgewicht in dieser Position zu halten, wird dem jungen Mann eine viel intensivere Erfahrung im utthita pārśva konāsana möglich werden, wenn er zur Stabilisierung die Hand auf einem Hocker ablegt. Allerdings wird die Seitneigung nur so weit gehen dürfen, wie er sich dabei nicht abstützen muss (Abb. 6).

Utthita pārśva konāsana mit Hocker.
Abb. 6

Im folgenden uttānāsana (Abb. 7) wird die Rotation der Schultern beim Ablegen der Hände auf dem Rücken vermieden (Schmerzen bei Innenrotation der Schultern).

Uttānāsana mit abgelegten Händen auf dem Rücken.
Abb. 7

Da zudem nicht klar ist, wie viel Bewegung im Kurs insgesamt schließlich die Schulter überfordert, kann es sinnvoll sein, in der einen oder anderen Übungen überhaupt auf Armbewegungen zu verzichten. Eine einfache Möglichkeit ist hier, die Hände beim Vorwärtsbeugen einfach zu den Knien hinuntergleiten zu lassen (Abb. 8).

Uttānāsana, Vorbeuge, mit den Händen zu den Knien abgelegt.
Abb. 8

Für ūrdhva prasṛta pādāsana (Abb. 9) braucht der Teilnehmer erneut nur den Hinweis, dass die Arme statt nach hinten zu bewegen neben den Körper abgelegt werden können.

Abb. 9

Das zweite statisch praktizierte Āsana, jaṭhara parivṛtti (Abb. 11) wird mit einer einfachen Variante des Āsanas selbst vorbereitet (Abb. 10). Hier braucht es keine Veränderungen, wenn der Teilnehmer, wie alle anderen auch, die Arme bequem in Position bringt. Allerdings ist eine Rückfrage angebracht, ob der Zug auf den Schulterbereich Beschwerden verursacht oder nicht.

Jaṭhara parivṛtti, eine Drehung aus der Rückenlage.
Abb. 10


Etwas anders sieht es in der statischen Form von ­jaṭhara parivṛtti aus (Abb. 11). Hier wird die Vorderseite der Schultern deutlich stärker gedehnt und vor allem: Eine Dosierung dieser Dehnung ist schwer möglich, die Schwerkraft zieht die gebeugten Beine und den gegenüberliegenden Arm in Richtung Boden. Für dieses Āsana wird der Teilnehmer also noch einmal die besondere Aufmerksamkeit der Lehrerin, des Lehrers benötigen. Es gilt dann ad hoc herauszufinden, ob die Übung so mit geübt werden kann.

Jaṭhara parivṛtti, eine Drehung aus der Rückenlage mit gestreckten Bein.
Abb. 11


Als erster Ausgleich für jaṭhara parivṛtti folgt cakravākāsana (Abb. 12). Da es große Last auf die Schultern bringt, ist es für den Teilnehmer ungeeignet.

Vinyāsa mit cakravākāsana.
Abb. 12

Stattdessen wird er von einem kurzen Vinyāsa profitieren, von dem weiter oben die Rede war (Abb. 13).

Vorbeuge aus dem Kniestand
Abb. 13

Dvipāda pīṭham, die Schulterbrücke, (Abb. 14) als weiterer Ausgleich für die starke Beugung in den Hüftgelenken braucht nur eine leichte Abwandlung – die Arme bleiben neben dem Körper liegen.

Dvipāda pīṭham, die Schulterbrücke.
Abb. 14

Die beiden letzten Übungen, apanāsana und śavāsana (Abb. 14) stellen keine weiteren Ansprüche an Anpassung oder Ersatz.

Abb. 15

So angepasst kann der Teilnehmer gemeinsam mit allen anderen den Kurs beschließen. Und auch wenn seine Schulterschmerzen von diesem Kurs nicht besser werden – seine Anliegen an Bewegung und Entspannung dürften erfüllt werden, darüber hinaus wird er alle anderen Wirkungen einer angemessenen Yogapraxis erfahren und genießen können. ▼

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