Was ist Viniyoga?

Yoga dem Menschen verfügbar machen

Zu Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts war der Begriff Viniyoga selten mehr als ein Etikett, um eine zu dieser Zeit augenscheinlich von den üblichen Unterrichtsmethoden des Yoga in Deutschland abweichende Art und Weise des Übens zu beschreiben.

Die Beschreibungsversuche machten sich vorwiegend an den äußerlich auffälligsten Besonderheiten fest. Wohlgesinnte verbanden Viniyoga dabei mit dynamischem Üben, Variantenreichtum, Feinarbeit oder der Freude über den Mut zu einfachen Übungen. Andere vermuteten in Viniyoga dagegen einen Verrat an dem, was ihnen als klassischer Yoga galt, sahen nicht viel mehr als Armwedeln oder befanden: gut für die Kranken, nichts für Gesunde. Inzwischen hat sich der Begriff Viniyoga mehr mit seinen wirklichen Inhalten gefüllt.

Was sind diese Inhalte, mit denen heute Viniyoga verbunden wird?

Da ist das konzeptionelle Verständnis von allen Übungen der Meditation, des Prāṇāyāmas und der Āsanas; da ist der Anspruch, jeder Vorschlag zu einer Yogapraxis muss diskutierbar, begründbar und nachvollziehbar sein; da ist die große Bedeutung, die dem Atem im Üben zugemessen wird; da ist die Erfahrung, wie wirksam und sinnvoll dynamisches Üben ist.

Tatsächlich machen genau diese Aspekte – und noch einige andere mehr – einen Teil der Tradition aus, die mit dem Begriff Viniyoga einen einprägsamen Namen bekommen hat.

Etwas genauer betrachtet meint Viniyoga gleichzeitig mehr, aber auch weniger als seine üblich gewordene Verwendung vermuten lässt. Mehr, weil es von den grundsätzlichsten aller Voraussetzungen jedes Umgehens mit Yoga handelt. Weniger, weil mit dem Gebrauch des Wortes Viniyoga ursprünglich keine besondere Yogatradition und damit kein zugehöriges Übungssystem beschrieben wurde.

Für T. Krishnamacharya war Viniyoga nichts anderes als ein altbekannter und wesentlicher Teil der Tradition des Yoga, den es wiederzubeleben galt, weil ihm seiner Meinung nach viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Was ist Viniyoga?

Yoga dem Menschen verfügbar machen

Zu Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts war der Begriff Viniyoga selten mehr als ein Etikett, um eine zu dieser Zeit augenscheinlich von den üblichen Unterrichtsmethoden des Yoga in Deutschland abweichende Art und Weise des Übens zu beschreiben.

Die Beschreibungsversuche machten sich vorwiegend an den äußerlich auffälligsten Besonderheiten fest. Wohlgesinnte verbanden Viniyoga dabei mit dynamischem Üben, Variantenreichtum, Feinarbeit oder der Freude über den Mut zu einfachen Übungen. Andere vermuteten in Viniyoga dagegen einen Verrat an dem, was ihnen als klassischer Yoga galt, sahen nicht viel mehr als Armwedeln oder befanden: gut für die Kranken, nichts für Gesunde. Inzwischen hat sich der Begriff Viniyoga mehr mit seinen wirklichen Inhalten gefüllt.

Was sind diese Inhalte, mit denen heute Viniyoga verbunden wird?

Da ist das konzeptionelle Verständnis von allen Übungen der Meditation, des Prāṇāyāmas und der Āsanas; da ist der Anspruch, jeder Vorschlag zu einer Yogapraxis muss diskutierbar, begründbar und nachvollziehbar sein; da ist die große Bedeutung, die dem Atem im Üben zugemessen wird; da ist die Erfahrung, wie wirksam und sinnvoll dynamisches Üben ist.

Tatsächlich machen genau diese Aspekte – und noch einige andere mehr – einen Teil der Tradition aus, die mit dem Begriff Viniyoga einen einprägsamen Namen bekommen hat.

Etwas genauer betrachtet meint Viniyoga gleichzeitig mehr, aber auch weniger als seine üblich gewordene Verwendung vermuten lässt. Mehr, weil es von den grundsätzlichsten aller Voraussetzungen jedes Umgehens mit Yoga handelt. Weniger, weil mit dem Gebrauch des Wortes Viniyoga ursprünglich keine besondere Yogatradition und damit kein zugehöriges Übungssystem beschrieben wurde.

Für T. Krishnamacharya war Viniyoga nichts anderes als ein altbekannter und wesentlicher Teil der Tradition des Yoga, den es wiederzubeleben galt, weil ihm seiner Meinung nach viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Was ist Viniyoga?

Yoga dem Menschen verfügbar machen

Zu Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts war der Begriff Viniyoga selten mehr als ein Etikett, um eine zu dieser Zeit augenscheinlich von den üblichen Unterrichtsmethoden des Yoga in Deutschland abweichende Art und Weise des Übens zu beschreiben.

Die Beschreibungsversuche machten sich vorwiegend an den äußerlich auffälligsten Besonderheiten fest. Wohlgesinnte verbanden Viniyoga dabei mit dynamischem Üben, Variantenreichtum, Feinarbeit oder der Freude über den Mut zu einfachen Übungen. Andere vermuteten in Viniyoga dagegen einen Verrat an dem, was ihnen als klassischer Yoga galt, sahen nicht viel mehr als Armwedeln oder befanden: gut für die Kranken, nichts für Gesunde. Inzwischen hat sich der Begriff Viniyoga mehr mit seinen wirklichen Inhalten gefüllt.

Was sind diese Inhalte, mit denen heute Viniyoga verbunden wird?

Da ist das konzeptionelle Verständnis von allen Übungen der Meditation, des Prāṇāyāmas und der Āsanas; da ist der Anspruch, jeder Vorschlag zu einer Yogapraxis muss diskutierbar, begründbar und nachvollziehbar sein; da ist die große Bedeutung, die dem Atem im Üben zugemessen wird; da ist die Erfahrung, wie wirksam und sinnvoll dynamisches Üben ist.

Tatsächlich machen genau diese Aspekte – und noch einige andere mehr – einen Teil der Tradition aus, die mit dem Begriff Viniyoga einen einprägsamen Namen bekommen hat.

Etwas genauer betrachtet meint Viniyoga gleichzeitig mehr, aber auch weniger als seine üblich gewordene Verwendung vermuten lässt. Mehr, weil es von den grundsätzlichsten aller Voraussetzungen jedes Umgehens mit Yoga handelt. Weniger, weil mit dem Gebrauch des Wortes Viniyoga ursprünglich keine besondere Yogatradition und damit kein zugehöriges Übungssystem beschrieben wurde.

Für T. Krishnamacharya war Viniyoga nichts anderes als ein altbekannter und wesentlicher Teil der Tradition des Yoga, den es wiederzubeleben galt, weil ihm seiner Meinung nach viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Was also ist Viniyoga?

Das Sanskritwort Viniyoga setzt sich aus drei Teilen zusammen: vi-ni-yoga.

  • Das kurze vi ist die Wortwurzel des Begriffs viśeṣa, was so viel heißt wie besonders.
  • Die Silbe ni drückt eine Betonung aus und steht für Intensität.
  • Der Begriff yoga wird hier in einer seiner ursprünglichen Bedeutun­gen benutzt und meint Verbin­dung, aber auch Verwendung oder Gebrauch.

Vini­yo­ga beschreibt also eine besondere und intensive Verbindung; oder anders gesagt, die spezifische und wirksame Anwendung eines bestimmten Mittels.

Für diesen In­halt steht der Begriff Viniyoga auch dort, wo Patañjali ihn im Yoga Sūtra verwendet (Yoga Sūtra, 3. Kapitel – Sūtra 6) und wo er in der Yoga­rahasya des Nāthamuni das fünfte Kapitel überschreibt.

„Yoga entfaltet seine Möglichkei­ten erst dann wirklich umfassend, wirksam und tief, wenn die Yoga­praxis dem übenden Menschen angemessen ist, sich intensiv mit ihm, seinen Wünschen und Gegebenhei­ten verbinden kann.“

Dafür muss jedes Konzept, jede Übung an den Menschen, die sie erreichen soll, angepasst werden. Und jeder Unter­richt sollte davon getragen sein, die Bedürfnisse ernst zu nehmen, die jemanden zum Yoga bringen, sowie die Möglichkeiten und Individualität der jeweiligen Person zu respektieren.

Ihr soll nichts übergestülpt werden; kein Āsana, keine Meditation, kein Ziel, kein Konzept und schon gar keine Weltanschauung. Wer individuelle Erfahrung ernst nimmt, muss Verschiedenheit und Vielfalt akzeptieren. Ein solcher Um­gang mit Yoga lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Viniyoga.

Traditionen

Auch aus historischer Perspektive außerhalb der Sūtren des Patañjali und der Yogarahasya des Nāthamuni steht der Begriff Viniyoga für eine besondere Form der spezifischen und passenden Anwendung, wie eine wörtliche Übersetzung lauten könnte.
In vielen Texten der religiösen Tradition Indiens ist Viniyoga der Begriff für die immer besonderen und sehr unterschiedlichen Ri­tuale, die sich an Gott oder eine besondere Gottheit richten. So kann man sich etwa der wilden Göttin Dūrga nicht im gleichen Ritual, nicht mit den gleichen Bildern oder Rezitationen nähern wie Saraswati, einer Gottheit der Weisheit.

Um sich mit einer bestimmten Kraft im Gebet zu verbinden, braucht es ein Viniyoga, also die dafür angemessenen Rituale, Rezitationen und Opfer.

Ebenfalls wird mit traditionell beschrieben, welche Anpas­sun­gen ein Ritual erfahren kann, wenn es unter geänderten Bedin­gun­gen durchgeführt werden muss.

  • Durch was ist z. B. ein geheiligtes Wasser zu ersetzen, wenn für ein Opfer keines verfügbar ist?
  • Wie ist ein Gebet zu kürzen, um auch unter Umstän­den, die dafür wenig Zeit lassen, wirksam gesprochen zu werden?

Viniyoga handelt also auch hier von der richtigen Auswahl und Anpassung der Mittel, die für ein bestimmtes Ziel zur Verfügung stehen. Je nachdem, welcher Blickwinkel gewählt wird, sind die zwei wesentlichen Grundlagen erkennbar, die den Ansatz von Viniyoga leiten.

Der Ansatz

Schauen wir auf die Person, die Yo­ga übt, steht die Erkenntnis im Mit­telpunkt, dass Menschen verschieden sind, dass sich die Ziele und In­halte ihrer Praxis voneinander unterscheiden, dass ihre Möglichkeiten voneinander abweichen, dass sich Menschen ändern und sich die Be­dingungen ändern, unter denen sie praktizieren.

Viniyoga meint aber auch eine besondere Betrachtungs­weise dessen, was ein Mensch übt. Yoga als Übungsweg, als Übungssystem, als Praxis oder als Erklärungs­modell für den Menschen in seinen vielfältigen Aspekten wird hier nicht gesehen als Selbstzweck, sondern als ein Mittel, das einem bestimmten Zweck oder Ziel dient.

Die bloße Tatsache etwa, ein bestimmtes Āsana bewältigt zu haben, sei es auch noch so fordernd, klassisch oder als Teil eines geheimen Schatzes eines himalayischen Yogis gepriesen, ist aus der Sicht des Viniyoga ohne jeden besonderen Wert und Nut­zen.

Der Wert einer Übung misst sich aus­schließlich daran, ob ihre Praxis für eine positive Veränderung taugt. Es ist allein das Anlegen dieser Messlatte an jede Praxis des Yoga, die in vielen Unterrichts­si­tuationen zu einer Entscheidung für einfache und wenig spektakuläre Āsana oder Atemübungen führt.

Viniyoga zeichnet sich nicht durch besonders san­ftes Üben aus. Der große Raum, den dynamisches und einfaches Üben in diesem Kon­zept oft einnimmt, ist vielmehr nichts anderes, als das konsequente Um­setzen dieses Anspruchs.

Praxis sollte einen Menschen verändern, soll dem Körper und Geist neue Mög­lichkeiten öffnen, soll ne­gative Mu­s­ter überwinden und einen Men­schen in seiner Gesamt­heit erreichen. Das verlangt eine Ausein­an­der­setzung damit, wie ein Übungs­weg und die darin angebotenen Übungen auf jeweils besondere Gegebenheiten wirklich tragfähige Antworten finden können, die sich auch auf lange Sicht bewähren können.

Viniyoga stellt die Frage: Wie kann Yoga für eine einzigartige, je besondere Person in einer gegebenen und ebenso einzigartigen Situation von Bedeutung werden und seine Wirkung entfalten?

Ein Blick zurück

Als Yoga vor gut 60 Jahren hier im Westen als Übungsweise immer bekannter wurde, war das Wissen um den tatsächlichen Reichtum und die Tiefe der Tradition des Yogas noch begrenzt. So bestand zum Beispiel eine damals populär werdende Übungsreihe (die sogenannte Rishikesh-Reihe nach einem Ort am Fuße des indischen Himalaja, wo sie ein europäischer Yogalehrer in einem Ashram kennengelernt hatte) aus ganzen neun Āsanas.

Auch wenn diesen Āsanas durch ihre Beschreibung als klassische eine besondere Wertschätzung gegeben werden sollte, lässt ihre Auswahl ebenso wie die Abfolge ihrer Anordnung wenig von den vielfältigen Möglichkeiten einer Āsanapraxis im Sinne des Viniyoga erahnen.

Inzwischen hat sich der Blick geweitet und wir werden uns mehr und mehr bewusst, von welcher Komplexität das System Yoga ist. Es entstehen dadurch aber auch neue Fragen und für die konkrete Arbeit mit Yoga verlangt die enorme Fülle der sich eröffnenden Möglichkeiten Struktur und Gewichtung.

Was nötig ist

Tatsächlich benötigt die Anpassung der verschiedenen Techniken des Yogas an die individuellen Bedür­f­nisse und Möglichkeiten der Yoga übenden bestimmte Voraussetzun­gen. Einige, die wichtigen, sollen hier angesprochen werden:

  • die Kom­munikation im Unterrichten
  • die Kunst der Beobachtung
  • die An­passung und Variation der Mittel
  • die Notwendigkeit, sich auf Kon­zepte beziehen zu können
  • ein klares Verständnis der Wirkungen von Yogapraxis

Kommunikation

Die Beziehung zwischen Unterrichtenden und Unterrichteten ist von großer Bedeutung für das Gelingen jeder angestrebten Veränderung. Um die Ziele und Erfahrungen ernst nehmen zu können, die eine Person mit ihrem Yoga-Üben verbindet, muss darüber ein Austausch zwischen Unterrichtenden und Unterrichteten möglich sein.
Für die Inhalte einer Praxis macht es schließlich einen Unterschied, ob jemand seine Rückenschmerzen besser in den Griff bekommen möchte, an einem Ausgleich zum alltäglichen Stress interessiert ist, im Yoga nach Gotteserfahrung sucht oder als Atheist dem Geheimnis der Vergänglichkeit näherkommen möchte.

Alle Übungen des Yogas sprechen immer einen Menschen als Ganzes an und was als Praxis die Linderung meiner Rückenschmerzen im Auge hatte, kann natürlich auch zu einer Erfahrung führen, die weit darüber hinausgeht. Und nicht selten lassen sich die Ziele, die jemanden zum Yoga bringen, kaum klar ausdrücken.

Wer sich dem Gedanken von Viniyoga verpflichtet fühlt, wird den angebotenen Unterricht so gestalten, dass ein Austausch über Bedürfnisse und in der Praxis erlebte Veränderungen zumindest möglich ist:

  • Was sind die Erwartungen, die jemand mitbringt?
  • Bin ich als YogalehrerIn dafür der/die richtige AdressatIn?
  • Gibt es unrealistische Hoffnungen?
  • Ist noch einiges mehr möglich?
  • Wie viel Anstrengung braucht es, um Aussicht auf Veränderung zu haben?
  • Wie ist eine Schwierigkeit im Üben einzuschätzen: Wird sie sich etwa durch unverändertes Weiterüben auflösen oder muss die Praxis verändert werden, um Schaden zu vermeiden? …

Es wird in diesem Prozess eine Atmosphäre von solcher Offenheit herrschen, dass auch Zweifel und Enttäuschung frei geäußert werden können. Und es sollte auf einfache Art und Weise möglich sein, in der Praxis gemachte Erfahrungen mit der oder dem zu besprechen, die diese Praxis gegeben oder angeleitet hat und es braucht Raum, aus dem Üben erwachsende Probleme zu thematisieren und Fragen zu klären.

Was in diesem Zusammenhang von Yogaunterrichtenden sicher mit die höchste Achtsamkeit und kritische Selbstreflexion verlangt, ist das wirkliche Respektieren der Person, die um Anleitung zum Üben fragt.

Diesen Respekt zu bewahren, bedeutet, dass weder zählt, was sich der oder die Unterrichtende an Entwicklung für diesen Menschen wünscht noch dürfen gute Erfahrungen mit einem bestimmten Āsana, einer bestimmten Atemübung, einer bestimmten Meditation in dem Irrtum enden, gerade diese Praxis wäre die richtige für alle. Der Yogaweg einer Person darf nicht von den – begrenzten – Erfahrungen einer Yogalehrerin, eines Yogalehrers bestimmt und eingeschränkt werden.

Beobachtung

Um zu erkennen, ob eine Praxis zu einem Menschen passt, braucht es gute Beobachtung.

  • Wie reagiert ein Körper auf bestimmte Anforderungen?
  • Wie verändert sich der Atem?
  • Welchen Bewegungsmustern folgt der Rücken?
  • Wann beginnt ein Āsana zu überfordern?
  • Wo weicht jemand einer Forderung aus?

Das sind einige der Fragen, aus deren Beantwortung wir etwas über die Wirkung eines bestimmten Āsanas auf einen bestimmten Menschen erfahren können.

Anpassen und Variieren der Mittel

Was eine YogalehrerIn beobachtet oder mitgeteilt bekommt, soll sich in den Vorschlägen für die Praxis niederschlagen.

  • Wie kann eine Übung so verändert werden, dass sie einen bestimmten Bereich mehr fordert, oder schädliche Spannungen vermieden werden?
  • Wodurch kann eine Übung ersetzt werden, die ein bestehendes Ungleichgewicht verstärkt oder ein neues geschaffen hat?
  • Wie können die Anforderun­gen einer Praxis so intensiviert werden, dass der/die Übende daran wächst und nicht scheitert?

Eine unmittelbare Folge aus der Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist die Anerken­nung der Tatsache, dass nicht jede Yogaübung allen guttut. Tatsächlich lehrt die Erfahrung, auch Yogaübungen können Gesunde krank machen und Ungleichgewich­te verstärken.

Immer wieder suchen Menschen Rat, weil die intensive Praxis bestimmter Yogaübungen ihnen körperlichen Schaden zugefügt hat.

Wie andere wirksame Methoden auch, können die Übungen des Yoga dann ohne Wirkung bleiben oder sogar schaden, wenn sie dem übenden Menschen nicht angemessen waren. Auch ein stabiler Nacken kann durch die unbedachte Praxis von halāsana (Pflug) in ein Ungleichgewicht getrieben werden, eine Skoliose wird durch intensive Dre­hungen verstärkt, und durch eine übermäßige Betonung der Einatmung werden die meisten Menschen mit zu hohem Blutdruck Schaden nehmen können.

Niemand würde auf den Gedanken kommen, bei Kopfschmerzen die Hausapotheke des Großvaters zu plündern, der an Diabetes und Prostatavergrößerung leidet. Warum sollte dann eine Me­thode, ein Āsana, eine Atem­tech­nik oder ein und dieselbe Me­ditation für so viele unterschiedliche Situationen von so verschiedenen Menschen wirksam sein?
Die Vor­stellung, alle Übungen würden schon immer positiv wirken, führt manchmal zu solchen Kuriositäten wie dem Entschluss, dem an Rückenschmerzen Leidenden ein paar Übungen beibringen zu wollen, die man selbst im letzten Yogakurs gerade so toll fand.

Wer individuelle Erfahrung ernst nehmen will, muss Verschiedenheit und Vielfalt akzeptieren lernen.

Anpassung braucht Konzepte

Nur auf der Grundlage eines konzeptionellen Verständnisses der Übungen des Yoga können sie auch angemessen angepasst werden. Sprechen wir über die Inhalte von Āsana, Prāṇāyāma und Meditation, dann meinen wir die Konzepte, die sich in diesen Übungen ausdrücken.
Eine Orien­tierung, die sich vorwiegend auf ihre äußere Form bezieht, ist für die Fragen, die sich in der praktischen Arbeit stellen, nicht ausreichend. Nur wenn ich weiß, was eigentlich mit einem bestimmten Āsana erreicht werden soll, kann die für eine Person angemessene Form gefunden werden.

Die Qualität von bhujaṅgāsana (Kobra) ist nicht zu messen in den Zentimetern, die die Schultern sich vom Boden entfernen, sondern unter anderem daran, auf welche Weise damit der Rüc­ken und Brustkorb erreicht wird oder wie sehr es gelingt, die Rückbeuge im unteren Rücken gesund und nicht schädigend zu praktizieren.

Die Frage nach Anpassung und den dafür nötigen Konzepten bezieht sich auch darauf, wie wir mit dem großen Schatz der Yoga­übungen in der heutigen Zeit und unserem westlichen Kontext umgehen. Eine Übung ist nicht schon deshalb wichtig und nützlich, weil sie etwa in einem Text wie der Haṭha Yoga Pradīpikā steht. Sollten wir tatsächlich jemandem vorschlagen, das Zungenbändchen Stück für Stück mit einem scharfen Grashalm von der Zunge zu trennen, damit eine bestimmte Atem­technik besser funktioniert, in der der Gaumen mit der beweglicher gewordenen Zunge geschlossen wird? Auch wenn die Haṭha Yoga Pradīpikā dies genau so vorschlägt und in fünf Versen nachvollziehbar und sehr ausführlich beschreibt, wird daraus noch lange kein ernst zu nehmender Vorschlag für eine heutige Praxis.

Und manch alter Text präsentiert Āsanas, die sich für den Höhepunkt einer Aufführung der Akrobaten des chinesischen Staats­zirkus eignen würden, aber außer einer Zu­rschaustellung der möglichen Gelen­kigkeit eines Menschenkör­pers auch bei genauerer Betrach­tung keinen Sinn ergeben. Woher sind die Kriterien zu nehmen, die helfen können, Sinnvolles von Überflüssigem, Schädlichem oder nur im Kontext einer bestimmten Kultur Brauchbarem zu unterscheiden?

Auch wenn die Antworten auf diese Frage sehr unterschiedlich sein können – wer sich auf das Anliegen von Viniyoga einlassen will, muss sich früher oder später, mehr oder weniger intensiv mit ihnen auseinandersetzen.

Das Verstehen der Wirkung von Yogapraxis benötigt einen ganzheitlichen Ansatz

Über die genaue Wirkweise von Yogaübungen herrscht immer noch Unklarheit. Das vielleicht am weitesten verbreitete Missverständnis resultiert aus einer Sicht auf Krankheit und Gesundheit, die sich in unreflektierter und oberflächlicher Weise auf – häufig selbst dort überholte – Modelle der naturwissenschaftlich ausgerichteten Schulmedizin bezieht.

Nach einer dieser Modellvorstellungen wirkt eine Substanz bei allen Menschen auf die gleiche Art und Weise. So ist es dem Aspirin in seiner Wirkweise auf Schmerzen egal, ob Frau Müller oder Herr Meier es nimmt. Was heutzutage selbst von der Schulmedizin für eine Schmerztablette nur noch mit Einschränkungen behauptet wird, taugt schon gar nicht für die Betrachtung einer Yogapraxis.

Trotzdem werden Yogaübungen oft nach dem gleichen Muster betrachtet und angewandt:

  • Das ist eine wunderbare Übung gegen Kopfschmerzen!
  • Diese Atemtechnik hilft bei Menstruationsproblemen!
  • Wer an Rückenschmerzen leidet, benötigt regelmäßig dieses Āsana.
  • Das Dehnen dieses Muskels hilft gegen Ischiasschmerzen.

Manchmal verbinden sich solche Rezepte, gerade auch in Yogabüchern, darüber hinaus auch noch mit einem naiven Verständnis der Komplexität unserer Körperfunktionen.

Die oft zu lesende Aussage: sarvāṇgāsana Schulterstand beeinflusst die Funktion der Schilddrüse ist etwa Ausdruck einer mangelnden Kenntnis der tatsächlichen Regulationsmechanismen dieser Drüse und schlicht falsch.
Und es geht noch verwegener; so z. B. die Formulierung: matsyāsana Fisch – eine kräftige Rückbeuge aus der Rückenlage ruht Herz und Lungen aus.

Manchmal drängt sich der Eindruck auf, dass solche Aussagen nur möglich sind, weil es an der nötigen Erfahrung im praktischen Umgang mit den Übungen des Yoga fehlt.

Es ist etwas anderes, zu einem bestimmten Āsana die eine oder andere Wirkung zu assoziieren oder sich ehrlich und mit offenem Blick der Erfahrung auszusetzen, die jemand macht und dann berichten kann, wenn er oder sie dieses Āsana über Monate oder Jahre hinweg regelmäßig praktiziert.

Es ist auch keineswegs ausreichend, sich auf eine Erfahrung zu beziehen, die beim Üben eines Āsana in einer wöchentlichen Gruppenstunde erlebt wurde. Was heute Abend sehr gutgetan hat, kann bei täglicher Wiederholung in einigen Wochen schwer schädigen und was heute als langweilig oder als Krampf erschien, kann sich nach einiger Praxis und Anleitung im regelmäßigen Üben als ausgesprochen wirksam erweisen.

Abgesehen davon, dass sich selbst in der sogenannten Schulmedizin die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass – um nur ein Beispiel zu nennen – nicht alle Mittel gegen Bluthochdruck etwa bei allen Menschen mit Bluthochdruck auch wirksam sind, ist gerade für ein System wie den Yoga die Vorstellung absurd, man könne eine positive Veränderung ohne die Beachtung eines Menschen in seiner Gesamtheit erreichen. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Die Arbeit kann dann erfolgreich sein, wenn die vielfältigen Aspekte einer Person respektiert und an ihnen entlang Lösungsstrategien entwickelt werden, in denen eine Krankheit oder ein Ungleichgewicht als Teil dieser besonderen Person betrachtet werden.

Die Wirkungen jeder Yogapraxis ergeben sich erst aus der Verbindung einer bestimmten Praxis oder bestimmten Übung mit einem besonderen Menschen, seiner besonderen Struktur, seiner Art des Übens.

Es gibt nicht die Übung für eine schmerzende Hüfte, gleichzeitig gibt es aber die Erfahrung, dass eine passende Praxis Hüftschmerzen beseitigt oder lindern kann.

Es heißt, die Wirkkräfte des Yoga zu unterschätzen und nicht, sie zu überschätzen, wenn die Yogalehrerin, der Yogalehrer am Ende einer Gruppenstunde zwischen Tür und Angel um eine Übung für den verspannten Rücken oder eine gegen Herzrasen gefragt wird und – was das eigentlich Problematische ist – darauf eine schnelle Antwort parat hat. Viniyoga bezieht sich auf die ganze Person und nicht auf ein von ihr trennbares Symptom.

Viniyoga und therapeutischer Yoga

Mit dem Begriff der Therapie kann es einem ein wenig gehen wie mit dem Wort Viniyoga selbst. Solange es nichts anderes bedeutet, als sich in die Mode der esoterischen Pseudotherapien einzureihen, bleibt wenig vom ursprünglichen Kern erhalten. Nun gab es aber auch in der langen Tradition des Yoga – neben anderen – immer die Vorstellung und Praxis, die Übungen des Yoga zu nutzen, um Ungleichgewichten oder Krankheiten entgegenzuwirken.

Der vor über 900 Jahren lebende südindische Yogi Nāthamuni, Autor der Yogarahasya – (Geheimnisse des Yoga), hat einen solchen Umgang mit Yoga cikitsa krama genannt und auch ein Text wie die Haṭha Pradīpikā ist voller Ideen und Vorschläge, die sich auf harmonisierende und heilende Wirkungen von Yogaübungen beziehen.
Und auch für Patañjali ist Krankheit ein Hindernis, dessen Bewältigung sehr wohl ein wichtiges Thema des Yogaweges werden kann; das Erreichen und Bewahren von Gesundheit gilt der Haṭha Pradīpikā als ein wesentliches Ziel der Praxis von Āsana.

Viele Menschen, die sich heutzutage für Yoga interessieren, tun dies auch angesichts eines gesundheitlichen Problems, das sie beeinträchtigt und für das sie in den verschiedenen Sparten der gängigen medizinischen Versorgung keine befriedigende Antwort gefunden haben.
Rückenschmerzen, Hüftbeschwerden, Kopfschmerzen und Migräne, Blutdruckerhöhung, Angina Pectoris, Magenbeschwerden, Ohrgeräusche, Schlafstörungen, Depressionen – um nur einige der häufigsten gesundheitlichen Anlässe zu nennen, die Menschen zum Yoga führen, sind bei uns weitverbreitet und oft nicht befriedigend therapierbar.

Auch Yoga kann hier keine Wunder bewirken, wobei jedoch das, was sich manches Mal durch geduldiges Üben einer passenden Praxis bewirken lässt, persönlich wie ein Wunder erlebt wird.

Die Yogalehrerin, der Yogalehrer, der mit einem solchen Anspruch an Yoga konsultiert wird, ist auf sehr andere Art und Weise gefordert als bisher beschrieben.
Ein solides Grundwissen in Physiologie und Biomechanik ist zwar vonnöten, reicht aber ebenso wenig aus wie die genaue Kenntnis der Übungen und ihrer Anwendung allein, soll eine wirksame Antwort für den kranken Menschen gefunden werden. Ein intensiver Kontakt mit dem Übenden, eine genaue und kritische Begleitung seines Prozesses, Geschicklichkeit und Feinheit im Umgang mit Übungsvarianten, und nicht zuletzt Erfahrung mit den großen Wirkungen oft geringer Änderungen und Anzeichen von Veränderung braucht es hier, um das zu bewirken, weswegen der Mensch zum Yoga kommt.

Um es noch einmal zu wiederholen: Yoga kennt keine Krankheiten, sondern nur Menschen, die durch Krankheit behindert, beengt oder verstört sind.

Entsprechend aussichtslos ist es, nach einem Übungsschema zu suchen, das sich für diese oder jene Beschwerden aufstellen ließe. Es geht vielmehr um die Frage, was Gesundung oder Heilung für den besonderen Menschen bedeuten und wie sie zu bewerkstelligen sind. Und es geht darum, ob man als LehrerIn oder Lehrer in der Lage und bereit und willens ist, einen Menschen auf dem oft sehr schwierigen Prozess der Gesundung zu begleiten und die Tiefen und Höhen durchzustehen, die auf einem solchen Weg unvermeidbar sind.

Die Begleitung durch Yoga

Von ähnlicher Art ist der Umgang mit Yoga, wenn er weitergehenden Bedürfnissen gerecht werden soll. Die Erfahrung zeigt, dass immer mehr Menschen im Yoga auch nach Hilfen zur Bewältigung von persönlichen Schwierigkeiten oder gar Unterstützung bei Lebenskrisen suchen. Und:

Welches immer der Anlass gewesen sein mag, weshalb ein Mensch den Weg zum Yoga gefunden hat – für viele entpuppt sich diese Methode als Mittel für eine intensivere Suche nach Sinn und Definition von Verantwortung im Leben.

Manche mögen das einen spirituellen Weg nennen. Es kann aber auch bescheidener formuliert werden und diese Suche als aktives Bedürfnis beschreiben, das eigene Leben mit allen Beziehungen und Verbindungen, in denen es sich lebt, sinnvoll zu gestalten.
Solche Beziehungen und Verbindungen werden im persönlichen Bereich gesehen – Familie, Freunde, soziales Umfeld, oft auch in Bezug auf die Frage, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, häufig auch als die Frage danach, welche Verantwortung wir übernehmen wollen, wenn auf der Welt die Menschenrechte mit Füßen getreten werden; vieles könnte hinzugefügt werden.

Gemeint ist, dass viele Menschen in Kontakt mit Yoga kommen, weil sie auf der Suche sind und diese Suche als eine aktive Anstrengung begreifen, die mit einer tiefgreifenden persönlichen Veränderung einhergehen soll.

Für manche stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach einer höheren Kraft, nach Gott, nach Religion. Egal, welches Motiv an eine YogalehrerIn, einen Yogalehrer herangetragen wird, mit der Hoffnung, in ihr oder ihm eine Hilfe, eine Stütze für diesen Prozess zu finden, so stellen sich für die YogalehrerInnen zwei wesentliche Fragen, um deren Beantwortung niemand herumkommt:

  • Will ich eine Rolle in einem solchen Prozess spielen?
  • Kann ich das?

Die erste Frage wird oft sehr schnell, manchmal zu schnell positiv beantwortet. Viel Attraktivität scheint darin zu liegen, für andere Menschen eine wichtige Bezugsperson zu sein. Tatsächlich ist es aber intensive Arbeit an sich selbst, kontinuierliches Hinterfragen der eigenen Motive und Handlungen in Konfrontation mit einer kompetenten dritten Person, Supervision im eigentlichen Sinne also, was für eine solche Entscheidung und Arbeit Bedingung ist. Einer derartigen Entscheidung sollte immer wieder aufs Neue das bewusste Erinnern zugrunde liegen, dass in dieser SchülerIn-LehrerIn-Beziehung, wie hier beschrieben, der oder die SchülerIn die Hauptperson sein muss und nicht der Yogalehrer, die YogalehrerIn. Das klingt einfach, ist es in der Praxis aber nicht immer.

Die zweite Frage – Kann ich das? Sie berührt hier bei weitem mehr als technisches Können und Erfahrung. Beide sind nötige, aber nicht ausreichende Voraussetzungen, um diese Frage mit Ja zu beantworten. Hier geht es für die Lehrerin, den Lehrer vielmehr um das Thema der eigenen Stabilität, der verfügbaren Ressourcen, aber auch um Fragen wie Zeitaufwand, Verfügbarkeit und Ähnliches.

Die hier beschriebene Beziehung ähnelt vielleicht noch am ehesten dem alten guru-śiśya-Verhältnis, also der Lehrer-Schüler-Beziehung des alten Indiens. Wie eine solche Beziehung hier und heute in einer anderen Zeit und im Kontext anderer Werte und Traditionen als respektvolle und vertrauensvolle Beziehung zwischen zwei Menschen aufzubauen und zu erhalten ist, ist eine Frage, auf die es nicht nur eine Antwort gibt. ▼

Was also ist Viniyoga?

Das Sanskritwort Viniyoga setzt sich aus drei Teilen zusammen: vi-ni-yoga.

  • Das kurze vi ist die Wortwurzel des Begriffs viśeṣa, was so viel heißt wie besonders.
  • Die Silbe ni drückt eine Betonung aus und steht für Intensität.
  • Der Begriff yoga wird hier in einer seiner ursprünglichen Bedeutun­gen benutzt und meint Verbin­dung, aber auch Verwendung oder Gebrauch.

Vini­yo­ga beschreibt also eine besondere und intensive Verbindung; oder anders gesagt, die spezifische und wirksame Anwendung eines bestimmten Mittels.

Für diesen In­halt steht der Begriff Viniyoga auch dort, wo Patañjali ihn im Yoga Sūtra verwendet (Yoga Sūtra, 3. Kapitel – Sūtra 6) und wo er in der Yoga­rahasya des Nāthamuni das fünfte Kapitel überschreibt.

„Yoga entfaltet seine Möglichkei­ten erst dann wirklich umfassend, wirksam und tief, wenn die Yoga­praxis dem übenden Menschen angemessen ist, sich intensiv mit ihm, seinen Wünschen und Gegebenhei­ten verbinden kann.“

Dafür muss jedes Konzept, jede Übung an den Menschen, die sie erreichen soll, angepasst werden. Und jeder Unter­richt sollte davon getragen sein, die Bedürfnisse ernst zu nehmen, die jemanden zum Yoga bringen, sowie die Möglichkeiten und Individualität der jeweiligen Person zu respektieren.

Ihr soll nichts übergestülpt werden; kein Āsana, keine Meditation, kein Ziel, kein Konzept und schon gar keine Weltanschauung. Wer individuelle Erfahrung ernst nimmt, muss Verschiedenheit und Vielfalt akzeptieren. Ein solcher Um­gang mit Yoga lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Viniyoga.

Traditionen

Auch aus historischer Perspektive außerhalb der Sūtren des Patañjali und der Yogarahasya des Nāthamuni steht der Begriff Viniyoga für eine besondere Form der spezifischen und passenden Anwendung, wie eine wörtliche Übersetzung lauten könnte.
In vielen Texten der religiösen Tradition Indiens ist Viniyoga der Begriff für die immer besonderen und sehr unterschiedlichen Ri­tuale, die sich an Gott oder eine besondere Gottheit richten. So kann man sich etwa der wilden Göttin Dūrga nicht im gleichen Ritual, nicht mit den gleichen Bildern oder Rezitationen nähern wie Saraswati, einer Gottheit der Weisheit.

Um sich mit einer bestimmten Kraft im Gebet zu verbinden, braucht es ein Viniyoga, also die dafür angemessenen Rituale, Rezitationen und Opfer.

Ebenfalls wird mit traditionell beschrieben, welche Anpas­sun­gen ein Ritual erfahren kann, wenn es unter geänderten Bedin­gun­gen durchgeführt werden muss.

  • Durch was ist z. B. ein geheiligtes Wasser zu ersetzen, wenn für ein Opfer keines verfügbar ist?
  • Wie ist ein Gebet zu kürzen, um auch unter Umstän­den, die dafür wenig Zeit lassen, wirksam gesprochen zu werden?

Viniyoga handelt also auch hier von der richtigen Auswahl und Anpassung der Mittel, die für ein bestimmtes Ziel zur Verfügung stehen. Je nachdem, welcher Blickwinkel gewählt wird, sind die zwei wesentlichen Grundlagen erkennbar, die den Ansatz von Viniyoga leiten.

Der Ansatz

Schauen wir auf die Person, die Yo­ga übt, steht die Erkenntnis im Mit­telpunkt, dass Menschen verschieden sind, dass sich die Ziele und In­halte ihrer Praxis voneinander unterscheiden, dass ihre Möglichkeiten voneinander abweichen, dass sich Menschen ändern und sich die Be­dingungen ändern, unter denen sie praktizieren.

Viniyoga meint aber auch eine besondere Betrachtungs­weise dessen, was ein Mensch übt. Yoga als Übungsweg, als Übungssystem, als Praxis oder als Erklärungs­modell für den Menschen in seinen vielfältigen Aspekten wird hier nicht gesehen als Selbstzweck, sondern als ein Mittel, das einem bestimmten Zweck oder Ziel dient.

Die bloße Tatsache etwa, ein bestimmtes Āsana bewältigt zu haben, sei es auch noch so fordernd, klassisch oder als Teil eines geheimen Schatzes eines himalayischen Yogis gepriesen, ist aus der Sicht des Viniyoga ohne jeden besonderen Wert und Nut­zen.

Der Wert einer Übung misst sich aus­schließlich daran, ob ihre Praxis für eine positive Veränderung taugt. Es ist allein das Anlegen dieser Messlatte an jede Praxis des Yoga, die in vielen Unterrichts­si­tuationen zu einer Entscheidung für einfache und wenig spektakuläre Āsana oder Atemübungen führt.

Viniyoga zeichnet sich nicht durch besonders san­ftes Üben aus. Der große Raum, den dynamisches und einfaches Üben in diesem Kon­zept oft einnimmt, ist vielmehr nichts anderes, als das konsequente Um­setzen dieses Anspruchs.

Praxis sollte einen Menschen verändern, soll dem Körper und Geist neue Mög­lichkeiten öffnen, soll ne­gative Mu­s­ter überwinden und einen Men­schen in seiner Gesamt­heit erreichen. Das verlangt eine Ausein­an­der­setzung damit, wie ein Übungs­weg und die darin angebotenen Übungen auf jeweils besondere Gegebenheiten wirklich tragfähige Antworten finden können, die sich auch auf lange Sicht bewähren können.

Viniyoga stellt die Frage: Wie kann Yoga für eine einzigartige, je besondere Person in einer gegebenen und ebenso einzigartigen Situation von Bedeutung werden und seine Wirkung entfalten?

Ein Blick zurück

Als Yoga vor gut 60 Jahren hier im Westen als Übungsweise immer bekannter wurde, war das Wissen um den tatsächlichen Reichtum und die Tiefe der Tradition des Yogas noch begrenzt. So bestand zum Beispiel eine damals populär werdende Übungsreihe (die sogenannte Rishikesh-Reihe nach einem Ort am Fuße des indischen Himalaja, wo sie ein europäischer Yogalehrer in einem Ashram kennengelernt hatte) aus ganzen neun Āsanas.

Auch wenn diesen Āsanas durch ihre Beschreibung als klassische eine besondere Wertschätzung gegeben werden sollte, lässt ihre Auswahl ebenso wie die Abfolge ihrer Anordnung wenig von den vielfältigen Möglichkeiten einer Āsanapraxis im Sinne des Viniyoga erahnen.

Inzwischen hat sich der Blick geweitet und wir werden uns mehr und mehr bewusst, von welcher Komplexität das System Yoga ist. Es entstehen dadurch aber auch neue Fragen und für die konkrete Arbeit mit Yoga verlangt die enorme Fülle der sich eröffnenden Möglichkeiten Struktur und Gewichtung.

Was nötig ist

Tatsächlich benötigt die Anpassung der verschiedenen Techniken des Yogas an die individuellen Bedür­f­nisse und Möglichkeiten der Yoga übenden bestimmte Voraussetzun­gen. Einige, die wichtigen, sollen hier angesprochen werden:

  • die Kom­munikation im Unterrichten
  • die Kunst der Beobachtung
  • die An­passung und Variation der Mittel
  • die Notwendigkeit, sich auf Kon­zepte beziehen zu können
  • ein klares Verständnis der Wirkungen von Yogapraxis

Kommunikation

Die Beziehung zwischen Unterrichtenden und Unterrichteten ist von großer Bedeutung für das Gelingen jeder angestrebten Veränderung. Um die Ziele und Erfahrungen ernst nehmen zu können, die eine Person mit ihrem Yoga-Üben verbindet, muss darüber ein Austausch zwischen Unterrichtenden und Unterrichteten möglich sein.
Für die Inhalte einer Praxis macht es schließlich einen Unterschied, ob jemand seine Rückenschmerzen besser in den Griff bekommen möchte, an einem Ausgleich zum alltäglichen Stress interessiert ist, im Yoga nach Gotteserfahrung sucht oder als Atheist dem Geheimnis der Vergänglichkeit näherkommen möchte.

Alle Übungen des Yogas sprechen immer einen Menschen als Ganzes an und was als Praxis die Linderung meiner Rückenschmerzen im Auge hatte, kann natürlich auch zu einer Erfahrung führen, die weit darüber hinausgeht. Und nicht selten lassen sich die Ziele, die jemanden zum Yoga bringen, kaum klar ausdrücken.

Wer sich dem Gedanken von Viniyoga verpflichtet fühlt, wird den angebotenen Unterricht so gestalten, dass ein Austausch über Bedürfnisse und in der Praxis erlebte Veränderungen zumindest möglich ist:

  • Was sind die Erwartungen, die jemand mitbringt?
  • Bin ich als YogalehrerIn dafür der/die richtige AdressatIn?
  • Gibt es unrealistische Hoffnungen?
  • Ist noch einiges mehr möglich?
  • Wie viel Anstrengung braucht es, um Aussicht auf Veränderung zu haben?
  • Wie ist eine Schwierigkeit im Üben einzuschätzen: Wird sie sich etwa durch unverändertes Weiterüben auflösen oder muss die Praxis verändert werden, um Schaden zu vermeiden? …

Es wird in diesem Prozess eine Atmosphäre von solcher Offenheit herrschen, dass auch Zweifel und Enttäuschung frei geäußert werden können. Und es sollte auf einfache Art und Weise möglich sein, in der Praxis gemachte Erfahrungen mit der oder dem zu besprechen, die diese Praxis gegeben oder angeleitet hat und es braucht Raum, aus dem Üben erwachsende Probleme zu thematisieren und Fragen zu klären.

Was in diesem Zusammenhang von Yogaunterrichtenden sicher mit die höchste Achtsamkeit und kritische Selbstreflexion verlangt, ist das wirkliche Respektieren der Person, die um Anleitung zum Üben fragt.

Diesen Respekt zu bewahren, bedeutet, dass weder zählt, was sich der oder die Unterrichtende an Entwicklung für diesen Menschen wünscht noch dürfen gute Erfahrungen mit einem bestimmten Āsana, einer bestimmten Atemübung, einer bestimmten Meditation in dem Irrtum enden, gerade diese Praxis wäre die richtige für alle. Der Yogaweg einer Person darf nicht von den – begrenzten – Erfahrungen einer Yogalehrerin, eines Yogalehrers bestimmt und eingeschränkt werden.

Beobachtung

Um zu erkennen, ob eine Praxis zu einem Menschen passt, braucht es gute Beobachtung.

  • Wie reagiert ein Körper auf bestimmte Anforderungen?
  • Wie verändert sich der Atem?
  • Welchen Bewegungsmustern folgt der Rücken?
  • Wann beginnt ein Āsana zu überfordern?
  • Wo weicht jemand einer Forderung aus?

Das sind einige der Fragen, aus deren Beantwortung wir etwas über die Wirkung eines bestimmten Āsanas auf einen bestimmten Menschen erfahren können.

Anpassen und Variieren der Mittel

Was eine YogalehrerIn beobachtet oder mitgeteilt bekommt, soll sich in den Vorschlägen für die Praxis niederschlagen.

  • Wie kann eine Übung so verändert werden, dass sie einen bestimmten Bereich mehr fordert, oder schädliche Spannungen vermieden werden?
  • Wodurch kann eine Übung ersetzt werden, die ein bestehendes Ungleichgewicht verstärkt oder ein neues geschaffen hat?
  • Wie können die Anforderun­gen einer Praxis so intensiviert werden, dass der/die Übende daran wächst und nicht scheitert?

Eine unmittelbare Folge aus der Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist die Anerken­nung der Tatsache, dass nicht jede Yogaübung allen guttut. Tatsächlich lehrt die Erfahrung, auch Yogaübungen können Gesunde krank machen und Ungleichgewich­te verstärken.

Immer wieder suchen Menschen Rat, weil die intensive Praxis bestimmter Yogaübungen ihnen körperlichen Schaden zugefügt hat.

Wie andere wirksame Methoden auch, können die Übungen des Yoga dann ohne Wirkung bleiben oder sogar schaden, wenn sie dem übenden Menschen nicht angemessen waren. Auch ein stabiler Nacken kann durch die unbedachte Praxis von halāsana (Pflug) in ein Ungleichgewicht getrieben werden, eine Skoliose wird durch intensive Dre­hungen verstärkt, und durch eine übermäßige Betonung der Einatmung werden die meisten Menschen mit zu hohem Blutdruck Schaden nehmen können.

Niemand würde auf den Gedanken kommen, bei Kopfschmerzen die Hausapotheke des Großvaters zu plündern, der an Diabetes und Prostatavergrößerung leidet. Warum sollte dann eine Me­thode, ein Āsana, eine Atem­tech­nik oder ein und dieselbe Me­ditation für so viele unterschiedliche Situationen von so verschiedenen Menschen wirksam sein?
Die Vor­stellung, alle Übungen würden schon immer positiv wirken, führt manchmal zu solchen Kuriositäten wie dem Entschluss, dem an Rückenschmerzen Leidenden ein paar Übungen beibringen zu wollen, die man selbst im letzten Yogakurs gerade so toll fand.

Wer individuelle Erfahrung ernst nehmen will, muss Verschiedenheit und Vielfalt akzeptieren lernen.

Anpassung braucht Konzepte

Nur auf der Grundlage eines konzeptionellen Verständnisses der Übungen des Yoga können sie auch angemessen angepasst werden. Sprechen wir über die Inhalte von Āsana, Prāṇāyāma und Meditation, dann meinen wir die Konzepte, die sich in diesen Übungen ausdrücken.
Eine Orien­tierung, die sich vorwiegend auf ihre äußere Form bezieht, ist für die Fragen, die sich in der praktischen Arbeit stellen, nicht ausreichend. Nur wenn ich weiß, was eigentlich mit einem bestimmten Āsana erreicht werden soll, kann die für eine Person angemessene Form gefunden werden.

Die Qualität von bhujaṅgāsana (Kobra) ist nicht zu messen in den Zentimetern, die die Schultern sich vom Boden entfernen, sondern unter anderem daran, auf welche Weise damit der Rüc­ken und Brustkorb erreicht wird oder wie sehr es gelingt, die Rückbeuge im unteren Rücken gesund und nicht schädigend zu praktizieren.

Die Frage nach Anpassung und den dafür nötigen Konzepten bezieht sich auch darauf, wie wir mit dem großen Schatz der Yoga­übungen in der heutigen Zeit und unserem westlichen Kontext umgehen. Eine Übung ist nicht schon deshalb wichtig und nützlich, weil sie etwa in einem Text wie der Haṭha Yoga Pradīpikā steht. Sollten wir tatsächlich jemandem vorschlagen, das Zungenbändchen Stück für Stück mit einem scharfen Grashalm von der Zunge zu trennen, damit eine bestimmte Atem­technik besser funktioniert, in der der Gaumen mit der beweglicher gewordenen Zunge geschlossen wird? Auch wenn die Haṭha Yoga Pradīpikā dies genau so vorschlägt und in fünf Versen nachvollziehbar und sehr ausführlich beschreibt, wird daraus noch lange kein ernst zu nehmender Vorschlag für eine heutige Praxis.

Und manch alter Text präsentiert Āsanas, die sich für den Höhepunkt einer Aufführung der Akrobaten des chinesischen Staats­zirkus eignen würden, aber außer einer Zu­rschaustellung der möglichen Gelen­kigkeit eines Menschenkör­pers auch bei genauerer Betrach­tung keinen Sinn ergeben. Woher sind die Kriterien zu nehmen, die helfen können, Sinnvolles von Überflüssigem, Schädlichem oder nur im Kontext einer bestimmten Kultur Brauchbarem zu unterscheiden?

Auch wenn die Antworten auf diese Frage sehr unterschiedlich sein können – wer sich auf das Anliegen von Viniyoga einlassen will, muss sich früher oder später, mehr oder weniger intensiv mit ihnen auseinandersetzen.

Das Verstehen der Wirkung von Yogapraxis benötigt einen ganzheitlichen Ansatz

Über die genaue Wirkweise von Yogaübungen herrscht immer noch Unklarheit. Das vielleicht am weitesten verbreitete Missverständnis resultiert aus einer Sicht auf Krankheit und Gesundheit, die sich in unreflektierter und oberflächlicher Weise auf – häufig selbst dort überholte – Modelle der naturwissenschaftlich ausgerichteten Schulmedizin bezieht.

Nach einer dieser Modellvorstellungen wirkt eine Substanz bei allen Menschen auf die gleiche Art und Weise. So ist es dem Aspirin in seiner Wirkweise auf Schmerzen egal, ob Frau Müller oder Herr Meier es nimmt. Was heutzutage selbst von der Schulmedizin für eine Schmerztablette nur noch mit Einschränkungen behauptet wird, taugt schon gar nicht für die Betrachtung einer Yogapraxis.

Trotzdem werden Yogaübungen oft nach dem gleichen Muster betrachtet und angewandt:

  • Das ist eine wunderbare Übung gegen Kopfschmerzen!
  • Diese Atemtechnik hilft bei Menstruationsproblemen!
  • Wer an Rückenschmerzen leidet, benötigt regelmäßig dieses Āsana.
  • Das Dehnen dieses Muskels hilft gegen Ischiasschmerzen.

Manchmal verbinden sich solche Rezepte, gerade auch in Yogabüchern, darüber hinaus auch noch mit einem naiven Verständnis der Komplexität unserer Körperfunktionen.

Die oft zu lesende Aussage: sarvāṇgāsana Schulterstand beeinflusst die Funktion der Schilddrüse ist etwa Ausdruck einer mangelnden Kenntnis der tatsächlichen Regulationsmechanismen dieser Drüse und schlicht falsch.
Und es geht noch verwegener; so z. B. die Formulierung: matsyāsana Fisch – eine kräftige Rückbeuge aus der Rückenlage ruht Herz und Lungen aus.

Manchmal drängt sich der Eindruck auf, dass solche Aussagen nur möglich sind, weil es an der nötigen Erfahrung im praktischen Umgang mit den Übungen des Yoga fehlt.

Es ist etwas anderes, zu einem bestimmten Āsana die eine oder andere Wirkung zu assoziieren oder sich ehrlich und mit offenem Blick der Erfahrung auszusetzen, die jemand macht und dann berichten kann, wenn er oder sie dieses Āsana über Monate oder Jahre hinweg regelmäßig praktiziert.

Es ist auch keineswegs ausreichend, sich auf eine Erfahrung zu beziehen, die beim Üben eines Āsana in einer wöchentlichen Gruppenstunde erlebt wurde. Was heute Abend sehr gutgetan hat, kann bei täglicher Wiederholung in einigen Wochen schwer schädigen und was heute als langweilig oder als Krampf erschien, kann sich nach einiger Praxis und Anleitung im regelmäßigen Üben als ausgesprochen wirksam erweisen.

Abgesehen davon, dass sich selbst in der sogenannten Schulmedizin die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass – um nur ein Beispiel zu nennen – nicht alle Mittel gegen Bluthochdruck etwa bei allen Menschen mit Bluthochdruck auch wirksam sind, ist gerade für ein System wie den Yoga die Vorstellung absurd, man könne eine positive Veränderung ohne die Beachtung eines Menschen in seiner Gesamtheit erreichen. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Die Arbeit kann dann erfolgreich sein, wenn die vielfältigen Aspekte einer Person respektiert und an ihnen entlang Lösungsstrategien entwickelt werden, in denen eine Krankheit oder ein Ungleichgewicht als Teil dieser besonderen Person betrachtet werden.

Die Wirkungen jeder Yogapraxis ergeben sich erst aus der Verbindung einer bestimmten Praxis oder bestimmten Übung mit einem besonderen Menschen, seiner besonderen Struktur, seiner Art des Übens.

Es gibt nicht die Übung für eine schmerzende Hüfte, gleichzeitig gibt es aber die Erfahrung, dass eine passende Praxis Hüftschmerzen beseitigt oder lindern kann.

Es heißt, die Wirkkräfte des Yoga zu unterschätzen und nicht, sie zu überschätzen, wenn die Yogalehrerin, der Yogalehrer am Ende einer Gruppenstunde zwischen Tür und Angel um eine Übung für den verspannten Rücken oder eine gegen Herzrasen gefragt wird und – was das eigentlich Problematische ist – darauf eine schnelle Antwort parat hat. Viniyoga bezieht sich auf die ganze Person und nicht auf ein von ihr trennbares Symptom.

Viniyoga und therapeutischer Yoga

Mit dem Begriff der Therapie kann es einem ein wenig gehen wie mit dem Wort Viniyoga selbst. Solange es nichts anderes bedeutet, als sich in die Mode der esoterischen Pseudotherapien einzureihen, bleibt wenig vom ursprünglichen Kern erhalten. Nun gab es aber auch in der langen Tradition des Yoga – neben anderen – immer die Vorstellung und Praxis, die Übungen des Yoga zu nutzen, um Ungleichgewichten oder Krankheiten entgegenzuwirken.

Der vor über 900 Jahren lebende südindische Yogi Nāthamuni, Autor der Yogarahasya – (Geheimnisse des Yoga), hat einen solchen Umgang mit Yoga cikitsa krama genannt und auch ein Text wie die Haṭha Pradīpikā ist voller Ideen und Vorschläge, die sich auf harmonisierende und heilende Wirkungen von Yogaübungen beziehen.
Und auch für Patañjali ist Krankheit ein Hindernis, dessen Bewältigung sehr wohl ein wichtiges Thema des Yogaweges werden kann; das Erreichen und Bewahren von Gesundheit gilt der Haṭha Pradīpikā als ein wesentliches Ziel der Praxis von Āsana.

Viele Menschen, die sich heutzutage für Yoga interessieren, tun dies auch angesichts eines gesundheitlichen Problems, das sie beeinträchtigt und für das sie in den verschiedenen Sparten der gängigen medizinischen Versorgung keine befriedigende Antwort gefunden haben.
Rückenschmerzen, Hüftbeschwerden, Kopfschmerzen und Migräne, Blutdruckerhöhung, Angina Pectoris, Magenbeschwerden, Ohrgeräusche, Schlafstörungen, Depressionen – um nur einige der häufigsten gesundheitlichen Anlässe zu nennen, die Menschen zum Yoga führen, sind bei uns weitverbreitet und oft nicht befriedigend therapierbar.

Auch Yoga kann hier keine Wunder bewirken, wobei jedoch das, was sich manches Mal durch geduldiges Üben einer passenden Praxis bewirken lässt, persönlich wie ein Wunder erlebt wird.

Die Yogalehrerin, der Yogalehrer, der mit einem solchen Anspruch an Yoga konsultiert wird, ist auf sehr andere Art und Weise gefordert als bisher beschrieben.
Ein solides Grundwissen in Physiologie und Biomechanik ist zwar vonnöten, reicht aber ebenso wenig aus wie die genaue Kenntnis der Übungen und ihrer Anwendung allein, soll eine wirksame Antwort für den kranken Menschen gefunden werden. Ein intensiver Kontakt mit dem Übenden, eine genaue und kritische Begleitung seines Prozesses, Geschicklichkeit und Feinheit im Umgang mit Übungsvarianten, und nicht zuletzt Erfahrung mit den großen Wirkungen oft geringer Änderungen und Anzeichen von Veränderung braucht es hier, um das zu bewirken, weswegen der Mensch zum Yoga kommt.

Um es noch einmal zu wiederholen: Yoga kennt keine Krankheiten, sondern nur Menschen, die durch Krankheit behindert, beengt oder verstört sind.

Entsprechend aussichtslos ist es, nach einem Übungsschema zu suchen, das sich für diese oder jene Beschwerden aufstellen ließe. Es geht vielmehr um die Frage, was Gesundung oder Heilung für den besonderen Menschen bedeuten und wie sie zu bewerkstelligen sind. Und es geht darum, ob man als LehrerIn oder Lehrer in der Lage und bereit und willens ist, einen Menschen auf dem oft sehr schwierigen Prozess der Gesundung zu begleiten und die Tiefen und Höhen durchzustehen, die auf einem solchen Weg unvermeidbar sind.

Die Begleitung durch Yoga

Von ähnlicher Art ist der Umgang mit Yoga, wenn er weitergehenden Bedürfnissen gerecht werden soll. Die Erfahrung zeigt, dass immer mehr Menschen im Yoga auch nach Hilfen zur Bewältigung von persönlichen Schwierigkeiten oder gar Unterstützung bei Lebenskrisen suchen. Und:

Welches immer der Anlass gewesen sein mag, weshalb ein Mensch den Weg zum Yoga gefunden hat – für viele entpuppt sich diese Methode als Mittel für eine intensivere Suche nach Sinn und Definition von Verantwortung im Leben.

Manche mögen das einen spirituellen Weg nennen. Es kann aber auch bescheidener formuliert werden und diese Suche als aktives Bedürfnis beschreiben, das eigene Leben mit allen Beziehungen und Verbindungen, in denen es sich lebt, sinnvoll zu gestalten.
Solche Beziehungen und Verbindungen werden im persönlichen Bereich gesehen – Familie, Freunde, soziales Umfeld, oft auch in Bezug auf die Frage, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, häufig auch als die Frage danach, welche Verantwortung wir übernehmen wollen, wenn auf der Welt die Menschenrechte mit Füßen getreten werden; vieles könnte hinzugefügt werden.

Gemeint ist, dass viele Menschen in Kontakt mit Yoga kommen, weil sie auf der Suche sind und diese Suche als eine aktive Anstrengung begreifen, die mit einer tiefgreifenden persönlichen Veränderung einhergehen soll.

Für manche stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach einer höheren Kraft, nach Gott, nach Religion. Egal, welches Motiv an eine YogalehrerIn, einen Yogalehrer herangetragen wird, mit der Hoffnung, in ihr oder ihm eine Hilfe, eine Stütze für diesen Prozess zu finden, so stellen sich für die YogalehrerInnen zwei wesentliche Fragen, um deren Beantwortung niemand herumkommt:

  • Will ich eine Rolle in einem solchen Prozess spielen?
  • Kann ich das?

Die erste Frage wird oft sehr schnell, manchmal zu schnell positiv beantwortet. Viel Attraktivität scheint darin zu liegen, für andere Menschen eine wichtige Bezugsperson zu sein. Tatsächlich ist es aber intensive Arbeit an sich selbst, kontinuierliches Hinterfragen der eigenen Motive und Handlungen in Konfrontation mit einer kompetenten dritten Person, Supervision im eigentlichen Sinne also, was für eine solche Entscheidung und Arbeit Bedingung ist. Einer derartigen Entscheidung sollte immer wieder aufs Neue das bewusste Erinnern zugrunde liegen, dass in dieser SchülerIn-LehrerIn-Beziehung, wie hier beschrieben, der oder die SchülerIn die Hauptperson sein muss und nicht der Yogalehrer, die YogalehrerIn. Das klingt einfach, ist es in der Praxis aber nicht immer.

Die zweite Frage – Kann ich das? Sie berührt hier bei weitem mehr als technisches Können und Erfahrung. Beide sind nötige, aber nicht ausreichende Voraussetzungen, um diese Frage mit Ja zu beantworten. Hier geht es für die Lehrerin, den Lehrer vielmehr um das Thema der eigenen Stabilität, der verfügbaren Ressourcen, aber auch um Fragen wie Zeitaufwand, Verfügbarkeit und Ähnliches.

Die hier beschriebene Beziehung ähnelt vielleicht noch am ehesten dem alten guru-śiśya-Verhältnis, also der Lehrer-Schüler-Beziehung des alten Indiens. Wie eine solche Beziehung hier und heute in einer anderen Zeit und im Kontext anderer Werte und Traditionen als respektvolle und vertrauensvolle Beziehung zwischen zwei Menschen aufzubauen und zu erhalten ist, ist eine Frage, auf die es nicht nur eine Antwort gibt. ▼

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