Drücken hilft nicht – Āsanas und Drüsen

Unter dem Titel »Mythos Kopfstand« im Heft Nr. 17 interessierte Viveka sich für die ­Wirkungen von Umkehrhaltungen; in diesem Teil der Kurz-Serie soll es um die physischen Einfluss­mög­lichkeiten auf Drüsen gehen.

Leider zeigt sich auch hier, wie wenig brauchbar manche Erklärungsansätze sind, die sich zu diesem Thema in Publikationen über Yoga finden. Vielleicht wird manchen das Herz schwer oder es kommt sogar Ärger auf, wenn sich oft genutzte und wohl vertraute Erklärungen zur Wirkung von Yogapraxis bei ­gewissenhafter Betrachtung als unzureichend oder falsch erweisen. Ersparen sollte man sich diese Diskussion darüber aber nicht. Im Gegenteil wird sie den Blick freier machen für ein besseres und angemesseneres ­Verständnis von Āsanas.

Drücken hilft nicht – Āsanas und Drüsen

Unter dem Titel »Mythos Kopfstand« im Heft Nr. 17 interessierte Viveka sich für die ­Wirkungen von Umkehrhaltungen; in diesem Teil der Kurz-Serie soll es um die physischen Einfluss­mög­lichkeiten auf Drüsen gehen.

Leider zeigt sich auch hier, wie wenig brauchbar manche Erklärungsansätze sind, die sich zu diesem Thema in Publikationen über Yoga finden. Vielleicht wird manchen das Herz schwer oder es kommt sogar Ärger auf, wenn sich oft genutzte und wohl vertraute Erklärungen zur Wirkung von Yogapraxis bei ­gewissenhafter Betrachtung als unzureichend oder falsch erweisen. Ersparen sollte man sich diese Diskussion darüber aber nicht. Im Gegenteil wird sie den Blick freier machen für ein besseres und angemesseneres ­Verständnis von Āsanas.

Drücken hilft nicht – Āsanas und Drüsen

Unter dem Titel »Mythos Kopfstand« im Heft Nr. 17 interessierte Viveka sich für die ­Wirkungen von Umkehrhaltungen; in diesem Teil der Kurz-Serie soll es um die physischen Einfluss­mög­lichkeiten auf Drüsen gehen.

Leider zeigt sich auch hier, wie wenig brauchbar manche Erklärungsansätze sind, die sich zu diesem Thema in Publikationen über Yoga finden. Vielleicht wird manchen das Herz schwer oder es kommt sogar Ärger auf, wenn sich oft genutzte und wohl vertraute Erklärungen zur Wirkung von Yogapraxis bei ­gewissenhafter Betrachtung als unzureichend oder falsch erweisen. Ersparen sollte man sich diese Diskussion darüber aber nicht. Im Gegenteil wird sie den Blick freier machen für ein besseres und angemesseneres ­Verständnis von Āsanas.

Einleitung

Es ist lange Zeit üblich gewe­sen, Āsana eine direkte Wir­kung auf die unterschied­lichen Drüsen des Körpers zuzu­schreiben. Dabei war es hauptsächlich die Schilddrüse, die im Mittelpunkt der Argumentation stand, wenn es darum ging, einen Einfluss be­stimm­­ter Āsana auf das System der menschlichen Drüsen zu behaup­ten.

Warum gerade der Schilddrüse so viel Aufmerksamkeit zuteilwurde, liegt sicherlich hauptsächlich daran, dass mit einigen Āsana ganz offen­sichtlich starker Druck auf den Be­reich dieser Drüse ausgeübt werden kann. Dies gilt besonders für Übun­gen wie den Schulterstand (sarvāṇgāsana) und den Pflug (halāsana). Durch diesen Druck, so glaub­te man, könne die Schilddrüse auf die eine oder andere Weise er­reicht und beeinflusst werden ...

  • „Wichtigster Effekt des Schulter­stands ist die Anregung der Schild- und Nebenschilddrüse durch den Druck des Kinns auf die Brust.“
  • „Der Schulterstand wirkt durch den Druck auf die Schilddrüse ge­wichtsreduzierend“.
  • „Erstaunlicherweise haben viele der Āsana eine direkte Wirkung auf die Drüsen und helfen ihnen, richtig zu arbeiten. Sarvāṇgāsana tut dies für die Schilddrüse und die Neben­schilddrüsen, die in der Halsregion liegen, da durch die feste Abrie­ge­lung des Kinns die Blutzufuhr ge­stärkt wird.“
  • „Die Schilddrüse wird kompri­miert und profitiert von einem er­höh­ten Blutzufluss, wodurch ihre Funktion normalisiert wird … bei Menschen, bei welchen die Schild­drüse nicht genügend Hormon ab­sondert, wird der Stoffwechsel ver­langsamt, die Haut blutarm, und der Blutdruck sinkt … in solchen Fällen übt halāsana eine glückliche Wir­kung aus.“

Diese Zitate sind weitverbreiteten Büchern über Yoga entnommen, und es würde keine Mühe bereiten, weitere an­zufügen. Die dort geäußerten Ver­spre­chun­gen basieren alle auf einer ganz bestimmten Vorstellung von der Wirkungsweise der Schild­drüse. Man glaubt hier tatsächlich, durch Druck auf das Gewebe der Schild­drüse die Ausschüttung der Hor­mone beeinflussen zu können, die dort produziert und gespeichert werden. Die Schilddrüse gleicht in einer solchen Vorstellung einem Schwamm, aus dem sich die Schild­drüsenhormone durch entspre­chen­den Druck auspressen oder durch erhöhte Blutzirkulation heraus schwemmen lassen. Mit der Wirk­lichkeit hat diese Vorstellung aber nichts zu tun und es ist für unser alltäg­li­ches Wohlbefinden ein Glück.

Um es vorwegzunehmen: Überhaupt keine Drüse im Körper, die Hormone bil­det und abgibt, lässt sich auch nur im Mindesten von mecha­ni­schen Reizen wie Druck beeinflussen.

Auch eine ver­mehrte Durchblutung bleibt ohne Auswirkung auf ihre hormonelle Funktion. Das gilt nicht nur für die Schilddrüse, sondern auch für alle anderen sogenannten endo­kri­nen Drüsen, wie die Neben­nierenrinde, von der manchmal behauptet wird, sie ließe sich durch Rückwärtsbeugen wie die Kobra (bhujaṅgāsana) oder die Heu­schre­cke (śalabhāsana) anregen.

Wie arbeiten Drüsen?

Warum etwa ein Āsana wie der Schulterstand bei der Schild­drüse tatsächlich keinerlei Eindruck hinterlässt, macht ein Blick auf die Funktionsweise dieser Drüse deut­lich. Ausführliche Informationen dazu finden sich weiter unten unter der Überschrift Keine Tube Mayonnaise – Zur Physiologie der Schilddrüse. Deshalb an dieser Stelle nur das Wichtigste in Kürze: Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den Drüsen des Körpers, die ihre Inhalts­stoffe nach außen und solchen, die ihre Inhaltsstoffe nach innen abgeben.

Drüsen zum Drücken

Wenn man nach Drüsen sucht, die tatsächlich auf mechani­schen Druck reagieren, dann kann man bei einigen Drüsen fündig werden, die eine besondere Flüssigkeit absondern und sie als Sekret nach außen abgeben. Dazu gehören etwa die Speichel- und Milch­drüsen. Neben vegetativen Reizen – wie der Gedanke an das Auspressen einer Zitrone – reagieren etwa die Speicheldrüsen hauptsächlich darauf, dass sie beim Kauen gedrückt und bewegt werden. Diese Massage ist sogar notwendig, damit sie ihr die Verdauung unterstützendes Sekret in ausreichendem Maß ausscheiden und über besondere Drüsengänge als Speichel in den Mundraum hi­nein abgeben können. Und natür­lich sind es die Milchdrüsen in der Brust, die ihr Sekret, also die Milch, auf Druck nach draußen abge­ben.

Innere Drüsen

Auf grundsätzlich andere Art arbeiten dagegen Drüsen, die von den Physiologen als endo­krin (nach innen gerichtet) bezeichnet werden. Sie scheiden kein Sekret aus, sondern bilden die verschiedenen Hormone des Körpers. Diese Hormone geben die en­do­krinen Drüsen über besondere Transportwege durch die Zellwände hindurch direkt in die Blut­bahn hinein ab.

Als Teil des komplexen hor­mo­nellen Systems lassen sich die endokrinen Drüsen gerade nicht durch Druck oder andere me­cha­nische Einflüsse reizen.

Tatsächlich kontrollieren die endokrinen Drüsen eine unüberschaubar große Zahl inein­ander ver­wobener Körperfunktionen und garantieren deren Harmonie, indem sie dafür sorgen, dass diese zahl­reichen Funktionen und Prozesse aufeinander abgestimmt bleiben. Die unter­schiedlichsten Anforderungen, denen ein Mensch gerade aus­gesetzt ist, werden so auf eine passende, angemessene und gesunde Art und Weise beantwortet. Was an Schilddrüsenhormonen freigesetzt wird, wird sich deshalb allein aus den Notwendigkeiten dieser globalen Stoffwechselprozesse in ihrem Zusammenspiel bestimmen. Genau dieser Aufgabe entsprechend ist die Regulation der Schilddrüse auch organisiert. Es wäre für die Harmonie unserer Körperprozesse und für unser subjektives Wohlbefinden verheerend, wenn sich der Fluss der Schild­drüsenhormone unter Druck oder durch eine besondere Körperposition auch nur minimal verändern ließe. Das Gleiche gilt übrigens auch von allen anderen endokrinen Drüsen wie der Nebenniere oder der Hirnanhangsdrüse, der Hypophyse.

Wenn es wirklich drückt – Āsana und Schilddrüsenvergrößerungen

Der Hormonhaushalt der Schilddrüse ist durch besondere Körperhaltungen nicht zu beeinflussen. Trotzdem können bestimmte Āsana bei Menschen, die unter Problemen mit der Schilddrüse leiden, unmittelbare Wirkung zeigen. Und das gilt tatsächlich am häufigsten, für die Āsana, bei deren Praxis das Kinn auf den Hals drückt. Wie ist dies zu erklären?

Am augenfälligsten sind in der Regel die Auswirkungen auf die Praxis bestimmter Āsana dort, wo eine Schilddrüse in ihrem Volumen vergrößert ist. Vorweg – die Vergrößerung einer Schilddrüse sagt nichts darüber aus, ob sie in ihrer Funktion gestört ist. Es ist sogar eher die Regel, dass selbst eine zu einem deutlich sichtbaren Kropf vergrößerte Schilddrüse ganz normal arbeitet. Allerdings kann ein Anwachsen der Schilddrüse auch zu einer Fehlfunktion der Schilddrüse führen, zum Beispiel wenn durch einen Tumor Schilddrüsengewebe gebildet wird, das nicht mehr der normalen endokrinen Regulation unterliegt.

Jede Vergrößerung der Schilddrüse kann jedoch in entsprechenden Āsana unmittelbar und unangenehm zu spüren sein. Ganz im Vordergrund steht dabei ein Druckgefühl im Halsraum bei Übungen, in denen das Kinn Richtung Hals gezogen und so die Schilddrüse nach innen gepresst wird. Das gilt hauptsächlich für Haltungen wie den Schulterstand oder Pflug, manchmal genügt dafür aber auch schon ein Āsana wie die Schulterbrücke (dvipāda pīṭham). Nicht selten bleibt die Problematik solcher Übungen allerdings nicht nur auf ein unangenehmes Druckgefühl im Halsbereich beschränkt, sondern kann sich in die unter­schiedlichsten Missempfindungen hinein fortsetzen. Enge-Gefühle im gesamten Bereich des oberen Brustkorbs können dazu ebenso gehören wie eine deutliche Einschränkung der Atembewegung.

Solche negativen Empfindungen haben leider nicht selten die Tendenz, sich über den Ort ihres Entstehens hinaus auszubreiten. So führen etwa gerade Enge-Gefühle im Bereich des Halses und der Atemwege leicht zu Symp­tomen, die über ein bloßes Druckgefühl weit hinausreichen. Dazu gehören Schweißausbrüche, Herzrasen oder manchmal sogar heftige Panikattacken. Die Ursache auch derartig extremer Störungen liegt dabei aber niemals in einer akuten vermehrten Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen. Sie sind vielmehr Ausdruck einer Reaktion des Vegetativums auf eine besondere Art von Missempfindung (siehe dazu auch Abb. 3 weiter unten).

Entsprechender Druck kann nicht nur bei einer Schilddrüsenvergrößerung unangenehm empfunden werden, sondern auch bei einer Entzündung der Schilddrüse. Auch in diesem Fall wird durch Druck keine vermehrte Hormonausschüttung angeregt. Alle Reaktionen auf starken Druck haben auch hier nicht unmittelbar mit der hormonellen Funktion der Schilddrüse zu tun.

Das ist vergleichbar mit einem Schweißausbruch, der dem starken Schmerz folgt, wenn ich mir mit dem Hammer auf den Finger geschlagen habe.

Dort, wo mein Finger später blau und anschwellen wird, wurden keine Stoffe gebildet, die schweißtreibend sind. Vielmehr reagiert mein ganzes System auf den Schreck, den Schmerz und alle anderen Gefühle, die mit dem Schlag auf den Finger entstanden sind. Diese Reaktion ist unmittelbar und sie ist wenig spezifisch. Es macht keinen Unterschied, ob ich mit dem Hammer meinen Finger oder mein Knie getroffen habe. Weil es nicht von der Funktion der Schilddrüse abhängig ist, welche Erfahrung jemand in einem Āsana macht, das Druck auf den Halsbereich gibt, ist es nicht verwunderlich, dass auch Menschen ohne Probleme mit der Schilddrüse auf solche Āsana mit Enge-Gefühl reagieren können. Dort, wo Atem fließt und dort, wo das Herz nicht weit ist, werden Enge oder andere unangenehme Gefühle eben auf eine besondere und auf besonders intensive Weise erfahren.

Āsana bei einer Überfunktion der Schilddrüse

Häufig kommen Menschen, die an einer Überfunktion der Schilddrüse leiden, mit jedweder Umkehrposition gut zurecht. Auch dies liegt nicht an deren Einwirkungen auf die Stoffwechsellage der Schilddrüse, sondern hat andere Gründe. Bei ei­ner Schilddrüsenüberfunktion sind viele Körperprozesse beschleunigt, das Vegetativum steht unter Dauerbelastung. Seine Fähigkeit, regulierend zu wirken, ist erheblich eingeschränkt. Der Körper kann auf einen Wechsel in der Körperhaltung, wie es Umkehrpositionen nun einmal verlangen, nicht mehr angemessen reagieren. Deshalb – und nicht wegen einer möglichen Beeinträchtigung ihrer hormonellen Situation – sollten Menschen mit Schilddrüsenüberfunktion von diesen Haltungen Abstand nehmen.

Drei Erkrankungen der Schilddrüse in Kürze beschrieben

  1. Die Vergrößerung der Schilddrüse – euthyreote Struma
    Mehr als 90 % aller Schilddrüsenerkrankungen bestehen in einer Vergrößerung der Schilddrüse bei normaler Hormonproduktion. Der medizinische Begriff dafür ist: euthyreote – normal Hormon produzierende Struma (Schilddrüsenvergrößerung). Bei etwa 30 % der deutschen Bevölkerung lässt sich eine solche Schilddrüsenvergrößerung feststellen, die ohne Einfluss auf das regelrechte Funktionieren der Schilddrüse bleibt.
  2. Unterfunktion der Schilddrüse – Hypothyreose
    Am häufigsten tritt diese Erkrankung als Folge einer Autoimmunstörung auf. Die wichtigsten Symptome sind Leistungsabfall, Antriebsarmut, Verlangsamung, eine gesteigerte Kälteempfindlichkeit. Die Haut ist trocken, kühl und teigig, das Haar wird brüchig, die Stimme rau und heiser. Die schulmedizinische Behandlung besteht in der Regel in der Gabe von Schilddrüsenhormonen.
  3. Überfunktion der Schilddrüse – Hyperthyreose
    Auch die Überfunktion der Schilddrüse wird häufig in den Zusammenhang mit bestimmten Autoimmunerkrankungen gebracht. Daneben kommt es auch vor, dass in der Schilddrüse Drüsengewebe gebildet wird, das auf die hormonelle Steuerung nicht mehr reagiert. Das Signal des Körpers, dass genug Schilddrüsenhormon vorhanden ist, wird von diesen Zellen nicht mehr gehört, sie produzieren weiter und überschwemmen den Körper mit Schilddrüsenhormon. Eine Überfunktion der Schilddrüse kann sich äußern in einer psychomotorischen Unruhe, einem beschleunigten Herzschlag, einem Gewichtsverlust (trotz Heißhungers); die Haut ist warm und feucht, Wärme wird schlecht ertragen.

Die Konsequenzen

Praktisch gesehen bedeuten all die­se Fakten für die Praxis von Āsana zweierlei.

  1. Es entspricht nicht der Wahrheit, wenn behauptet wird, dass Āsana einen direkten Einfluss auf die Funktion der Schilddrüse oder anderer endokrinen Drüsen hätten. Genauso unaufrichtig wäre es, den Eindruck zu erwecken, eine Haltung wie der Schulterstand könnte eine gestörte Schilddrüsenfunktion harmonisieren.
  2. Die Tatsache, dass mit Āsana die Schilddrüse nicht direkt erreicht werden kann, gilt natürlich auch für mögliche negative Auswirkungen. Niemand braucht Sorge zu haben, dass bei einer bestehenden Überfunktion der Schild­drüse ein Schulterstand zu ei­ner zusätzlichen Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen führen könn­te.

Die Begründung von Āsana-Wirkungen durch ihren mechanischen Einfluss auf die Drüsen ist also unsinnig und die Frage ist erlaubt, warum eine solch offensichtlich untaugliche Erklärung trotz­dem so große Verbreitung finden konnte? Viveka hat sich diese Frage schon einmal gestellt, nämlich angesichts der Theorien, die fälschlicherweise glauben machen wollen, auf dem Kopf zu stehen, verbessert die Durchblutung des Gehirns. Siehe dazu Mythos Kopfstand in Viveka Nr. 17.

Ob es sich um Erklärungen zu den Vorteilen des Kopfstandes handelt oder zu der Rolle und Beeinflussbarkeit der Schilddrüse (oder der Nebenniere, oder des Drüsensystems insgesamt), oder ob die Wirkweise von Āsana überhaupt angesprochen ist, die Muster solcher Argumentationen ähneln sich. Es fallen dabei besonders drei Aspekte auf:

  1. Als Erklärungsmodelle werden Vorstellungen von der Funktion des Menschen entworfen, die durch und durch mechanisch sind. Dass dort, wo unten ist, mehr Blut fließen soll (zum Beispiel im Kopf beim Kopfstand) oder dort, wo das Kinn auf eine Drüse drückt, Hormone fließen, kann nur glauben, wer den menschlichen Körper mit einem leblosen Ra­diogerät verwechselt, bei dem sich auf Knopfdruck die einzelnen Sender einstellen lassen.
  2. Viele Versuche, die Wirkung von Yogapraxis zu erklären, scheinen von dem Drang geprägt, jedem Āsana eine vom je besonderen Menschen unabhängige und immer gleiche Wirkung zuzuordnen. Diese Herangehensweise ist schon bei der Betrachtung der Wirkung einer Aspirintablette falsch, wie viel weniger eignet sie sich für die Erklärung der Wirkung von Āsana.
  3. Offensichtlich herrschte in der Vergangenheit zu wenig Austausch zwischen den Yogalehrenden und den unter ihrer Anleitung Übenden ebenso wie zu wenig Austausch zwischen den Yogalehrenden selbst. Es fehlte lange Zeit das Interesse, einmal genauer hinzuschauen, welche Wirkung die unterrichteten Āsana bei den Übenden tatsächlich entfalten können. Um das zu erfahren, braucht es eine stetige Nachfrage, eine Beobachtung, die nicht für alles ein schon fertiges Kästchen bereithält und natürlich eine achtsame Begleitung über viele Monate und Jahre.

Vielleicht ist es einfacher, selbst krudeste mechanistische Vorstellungen über die Wirkweise von Yogaübungen – die Schilddrüse ist ein ausdrückbarer Schwamm – unbesehen abzuschreiben, als sich die Mühe zu machen, den Bezug solcher Aussagen mit erlebter Erfahrung zu suchen. Ignoranz ge­genüber der fas­zinierenden Komplexität des mensch­­lichen Systems und der Be­son­derheit eines jeden Individuums sind wenig hilfreich, Yoga einem selbst und anderen verständlicher zu machen.

Keine Tube Mayonnaise – Zur Physiologie der Schilddrüse

Die wissenschaftliche Erforschung des menschlichen Systems ist gerade in den vergangenen Jahrzehnten rasant fortgeschritten. Und je mehr das Wissen der modernen Physiologie um den menschlichen Körper wächst, desto deutlicher zeigen auch ihre Erkenntnisse, wie sehr die verschiedenen Organe, Zellen, Stoffwechselprozesse und Funktionen des Körpers auf die vielfältigste und wunderbarste Weise miteinander verwoben sind.

Kein Teil des menschlichen Körpers arbeitet allein vor sich hin, sondern jede Bewegung, jeder Moment der Verdauung eines Brötchens, jeder Anstieg unseres Pulses, jede Rötung unserer Wangen, jedes Durstgefühl, jedes Frösteln, jede Aufregung, jedes Gefühl und jeder Gedanke ist eingebettet in ein nur in groben Zügen überschaubares Geflecht unterschiedlichster Körperprozesse.

Diese Prozesse beziehen sich aufeinander, sind voneinander abhängig, nehmen einander wahr, beeinflussen einander, stimmen sich aufeinander ab und fügen sich zu einem einheitlichen Ganzen, unserem lebenden Körper. Was gewährleistet nun diese enge Verbundenheit, Verflechtungen und Abhängigkeiten?

Vereinfacht dargestellt, beschreibt die Physiologie zwei besondere Systeme, die dafür sorgen, dass sich alle Körperzellen aufeinander beziehen und untereinander abstimmen können: das Nervensystem einerseits und das sogenannte endokrine System andererseits.

Das Nervensystem

Zunächst folgen einige Informationen zum Nervensystem, wie sie für die Betrachtung der Funktion der Drüsen notwendig sind. Im Nervensystem werden Informationen auf einem Leitungsweg – eben den Nerven – übertragen. Man kann sich das in etwa so vorstellen wie die Übermittlung der Worte bei einem Telefongespräch über die Telefonleitung. Das Wort „Hallo“ wird auch nicht direkt durch den Draht vermittelt, sondern erst einmal zu elektrischen Impulsen verschlüsselt. Das menschliche Leitungssystem verschlüsselt Botschaften aber nicht nur, es arbeitet noch ungleich komplizierter und komplexer. Für die weitere Betrachtung hier kann bei dieser sehr vereinfachten, dafür aber anschaulichen Beschreibung geblieben werden.

Im Nervensystem werden Nachrichten zunächst zu elektrischen Impulsen verschlüsselt, so über die Nervenbahnen geleitet und am Bestimmungsort in chemische Signale umgewandelt. Diese Signale lösen dann eine entsprechende Reaktion aus. Auf diese Weise erhöht sich unter anderem der Herzschlag, wenn jemand überraschend einen lieben Bekannten wiedersieht. Ein anderer bewegt seinen kleinen Finger und dazu läuft ein ähnliches Signal – Reaktionsmechanismus ab. Es gibt einen Ursprung der Nachricht (bei der Bewegung des kleinen Fingers etwa die Großhirnrinde), es gibt bestimmte Nervenzellen und Nervenbahnen, an denen entlang die Nachricht übertragen wird (hier zum Beispiel von der Großhirnrinde über das Kleinhirn, das Rückenmark hinein in die Nerven des Armes), und es gibt ein Ziel, an dem diese Nachricht schließlich ankommt (in diesem Beispiel sind das die Muskeln, die den kleinen Finger bewegen können). Bei der Wahrnehmung eines Luftzuges auf unserer Haut zum Beispiel nimmt die Nachricht den umgekehrten Weg. Wahrnehmungsorgane in der Haut registrieren den Luftzug, wandeln dieses Geschehen in einen elektrischen Code, dieser Code wird über die Nervenbahnen zum Hirn geleitet und dort entsteht schließlich die Wahrnehmung – Luftzug auf der Haut. Ist dieser Übertragungsweg unterbrochen, etwa durch die Verletzung eines Nervens oder den Druck einer Bandscheibe auf eine Nervenbahn, werden wir für den Luftzug taub, die Wahrnehmung davon erreicht uns nicht mehr.

Das endokrine System

Als endokrines System beschreibt die Physiologie das System der hormonellen Regulation in unserem Körper. Es arbeitet als ein Zusammenspiel von hormonbildenden Drüsen, den Hormonen selbst und besonderen Zellen, die nicht nur Hormonkonzentrationen, sondern auch alle anderen Körperfunktionen wie den Blutdruck, den Sauerstoffgehalt des Blutes oder die Konzentration bestimmter Salze wahrnehmen können. Solche Zellen nennt man Wahrnehmungs- oder Rezeptorzellen.  Dieses System ist durch den Blutkreislauf und die Körperflüssigkeiten insgesamt verbunden.

Weil die Hormone von Drüsenzellen nach innen, genauer gesagt in die Blutbahn hinein abgegeben werden (und nicht nach außen, wie der Talg aus einer Talgdrüse der Haut), wird das ganze System und die daran beteiligten Drüsen „endo-krin“, nach „innen ausschüttend“ genannt. Zu den endokrinen Drüsen gehört etwa die Schilddrüse, die Eierstöcke oder die Nebennieren. Eine Übersicht wichtiger endokriner Drüsen zeigt Abb. 1.

Das endokrine System
Abb. 1 – Bildquelle: medi-karriere

In mancherlei Hinsicht ist das endokrine System dem Nervensystem ähnlich. Auch im endokrinen System geht es um die Verbindung unterschiedlicher Zellen, Organe und Körperfunktionen, um ein gegenseitiges Verstehen und ein Aufeinander-Reagieren. Im endokrinen System gibt es Orte, an denen Nachrichten ihren Ausgang nehmen, und Organe, die das Ziel dieser Nachricht sind. Im Unterschied zum Nervensystem arbeitet das endokrine System aber „drahtlos“ und die „Nachrichten“ werden hier durch besondere Substanzen übertragen. Sie werden von entsprechenden Drüsen ausgeschüttet, erreichen ihren Bestimmungsort auf dem Blutweg und lösen dort eine gewünschte Reaktion aus. Substanzen, die in unserem Körper auf diese Weise Informationen übermitteln, nennt man Hormone.

Das Nervensystem ist hauptsächlich dann gefordert, wenn der Bewegungsapparat genutzt wird, wenn mithilfe der Sinnesorgane gespürt wird, beim Sehen oder Fühlen. Es überträgt vorrangig schnelle und gezielte Informationen. Das endokrine System dagegen hat seinen Schwerpunkt in einem anderen Bereich. Es dient mehr der lang dauernden und globalen Steuerung unterschiedlichster Stoffwechselprozesse. So bringen Hormone Stoffwechselprozesse wie das Wachstum, die Bildung von Blutkörperchen, den Menstruationszyklus oder auch die Bildung des Blutzuckers in Gang. Sie kontrollieren das Ausmaß solcher Prozesse, können sie verstärken, bremsen oder beenden. Gebildet und abgegeben werden diese Hormone durch eine Vielzahl von Drüsen, den endokrinen Drüsen. Sie sind an unterschiedlichen Stellen des Körpers lokalisiert. Die zuerst erforschten und wohl auch bekanntesten endokrinen Drüsen sind die Schilddrüse und die Sexualdrüsen wie Eierstöcke und Hoden. Endokrine Drüsen gibt es aber auch anderswo; zu ihnen gehören die Nebennieren, die Nebenschilddrüsen und vor allem auch die Hirnanhangsdrüse, die sogenannte Hypophyse, der in der Steuerung vieler hormoneller Prozesse eine Schlüsselrolle zukommt. Wie nun können diese endokrinen Drüsen erreicht werden, wie können sie in ihrer Funktion beeinflusst werden, auf welche Ansprache können sie reagieren?

Was kann eine endokrine Drüse beeinflussen?

Bei keiner dieser endokrinen Drüsen ist es möglich, sie durch mechanischen Druck, sei er auch noch so massiv, zu einer Veränderung in ihrer Funktion zu bewegen. Ebenso wenig lassen sie sich in ihrem hormonellen Wirken durch eine Veränderung der Durchblutung (solange sie nicht massiv krankhaft vermindert ist) beeinflussen.

Um es ganz deutlich zu sagen: Wollte man das in ihr enthaltene Schilddrüsenhormon durch äußere Einwirkung freisetzen, müsste man die Schilddrüse tatsächlich in einem Mixer pürieren.

Wenn sich die endokrinen Drüsen also als vollkommen unempfindlich gegenüber mechanischen Belastungen zeigen, wenn sie ihre Funktion nicht über eine Zunahme oder Abnahme ihrer Durchblutung steuern, wie wird dann die Freisetzung ihrer Hormone reguliert?

Nicht nur für einen Laien drängt sich schon bei einer oberflächlichen Annäherung an diese Frage ein Eindruck ganz in den Vordergrund: Die Freisetzung eines Hormons wie das der Schilddrüse hat keine Ähnlichkeit mit dem Daumendruck, der die Mayonnaise aus ihrer Tube drückt, sondern ist ein Vorgang von größter Komplexität.

Bei seiner Be­trach­tung steht man staunend vor einer wunderbaren Welt, in der tatsächlich alles miteinander verbunden ist, in der jeder Vorgang von unzähligen anderen abhängig ist und wiederum unzählige andere Prozesse beeinflusst.

Und dies alles dient dazu, die Harmonie des Körpers zu erhalten, die Gesundheit zu stärken und den Aufgaben gewachsen zu sein, die der Alltag stellt. Die Aufgaben, bei deren Bewältigung das endokrine System beteiligt ist, reichen vom Kinderkriegen über das Ertragen einer sibirischen Kälte, vom Überleben eines Wassermangels bis zur Bewältigung eines zu fetten Eis­beins, vom Erwachsen-Werden bis zur Blutbil­dung, von der Bereitstellung der Nährstoffe für die Muskeln bei jedem Schritt bis zur Bewältigung des Stresses im Büro.

Zu guter Letzt: Die Grundprinzipien der hormonalen Regulation

In all seiner Kompliziertheit und wunderbaren Vielfalt gibt es Grundstrukturen, nach denen das endokrine System funktioniert. Die meisten endokrinen Drüsen (etwa die Schilddrüse) werden von der sogenannten Hypophyse, der Hirnanhangsdrüse, gesteuert. Um diese Steuerung zu bewirken, gibt die Hypophyse selbst entsprechende Botenstoffe, also Hormone, in die Blutbahn ab. Wenn dann der passende Botenstoff aus der Hypophyse die Schilddrüse erreicht, führt dies zu einer vermehrten Produktion von Schilddrüsenhormon, oder es wird vermehrt Schilddrüsenhormon ausgeschüttet, das dort vorher schon gespeichert war. Die Schilddrüse kennt keinen anderen Reiz und reagiert hormonell auf nichts anderes als auf diese besonderen, von der Hypophyse ausgesandten Botenstoffe, die sie über die Blutbahn erreichen. Auch wenn wir damit schon weit entfernt sind von Vorstellungen, die glauben machen wollen, die Schilddrüse könne durch eine bestimmte Körperhaltung beeinflusst werden – die in der Schilddrüse wirkenden Prozesse sind noch ein wenig komplexer.

Die Hypophyse selbst unterliegt nämlich einer besonderen Regulation, ohne die sie keinen Einfluss auf die Schilddrüse nehmen kann. Diese Regulation der Hypophyse leistet der Hypothalamus, er wird auch – Zwischenhirn – genannt. Dort wird die Verbindung zwischen drei wesentlichen Systemen des menschlichen Körpers organisiert, dem somatischen (Organe wie Muskeln, Haut, Leber etc.), dem vegetativen (Sympathikus und Parasympathikus) und dem endokrinen System (die hormonellen Regulationen). Siehe dazu auch Abb. 2.

Hypophyse
Abb. 2 – Bildquelle: Gesundheit.GV.AT

Hypothalamus und Hypophyse sind also die Chefetagen, in denen über den Einsatz und die Arbeitsweise der inneren Drüsen entschieden wird. Die Regulation endokriner Drüsen ist Ausdruck einer ständigen körpereigenen Beobachtung von Stoffwechselprozessen und der Wahrnehmung bestimmter Anforderungen, die an das Körpersystem gestellt werden.

Das endokrine System und die endo­krinen Drüsen haben somit eine ganz besondere Blickrichtung – ihr Blick richtet sich nach innen, auf das innere Milieu des Körpers und ist getragen von der Notwendigkeit, dieses innere Milieu gesund und leistungsfähig zu erhalten.

Nur aus diesem inneren Milieu heraus lassen sich die endokrinen Drüsen beeinflussen, immer vermittelt über vielfache Wahrnehmungs- und Steuerungsprozesse.

Auf diese Weise wird etwa darüber gewacht, ob die Anzahl der roten Blutkörperchen ausreichend ist für eine gute Versorgung aller Organe mit Sauerstoff. Reist man in das peruanische Hochland, wo die Atemluft weniger Sauerstoff enthält als im Flachland, wird dies vom Körper wahrgenommen (siehe dazu auch Abb. 3). In der Folge bildet sich (in diesem Fall in der Niere) vermehrt ein Hormon, das die Erzeugung roter Blutkörperchen anregt. Dieses Hormon wird ausgeschüttet und tatsächlich steigt nun die Konzentration der roten Blutkörperchen im Blut an. Kehrt man ins Flachland zurück, wird auch diese neue Situation von den entsprechenden Zentren wahrgenommen und über die hormonelle Steuerung kehrt das Blut wieder zu seiner alten Zusammensetzung zurück.

Abb. 3 – Bildquelle: www.melissengeist.de

Auf die gleiche Art und Weise wird auch die Funktion der Schilddrüse reguliert. Dabei ist interessant, dass nicht nur die Steigerung und Senkung der Produktion des Schilddrüsenhormons von bestimmten Botenstoffen abhängig sind. Auch die Ausschüttung des Schilddrüsenhormons aus den Schilddrüsenzellen in die Blutbahn selbst ist ein sehr komplexer Prozess. Vor allem aber ist diese Ausschüttung ein aktives Geschehen. Das Hormon kann nicht einfach durch die Zellwand wandern oder gar durch Druck auf die Zelle herausgedrängt werden. Vielmehr werden die einmal produzierten Hormonmoleküle in einer besonderen Struktur innerhalb der Schilddrüse gespeichert, der Ort wird als Kolloid bezeichnet, aus der sie nicht einfach oder aus Versehen in die Blutbahn gelangen können. Vor ihrer endgültigen Abgabe in das Blut müssen die Hormonmoleküle in den Schilddrüsenzellen noch einmal besonders bearbeitet werden. Damit aber nicht genug. Um endlich ihre Reise in der Blutbahn anzutreten, werden die einzelnen Hormonmoleküle nun auch noch an bestimmte Transportmoleküle angebunden.

Auf diese Weise zirkulieren die Schilddrüsenhormonmoleküle im Huckepack dann tagelang durch den Körper. Erst allmählich docken sie an ihren Zielorganen an und lösen dort die gewünschten Reaktionen aus (so steigern sie etwa den Stoffwechsel einer Zelle, bei der sie landen). Der tägliche Umsatz an Hormonen ist dabei sehr gering. Deshalb ziehen tageszeitliche Schwankungen und kurzfristige Änderungen der Hormonausschüttung in der Schilddrüse kaum Änderungen im Hormonspiegel im Blut nach sich.

Wie stark also der Druck auf die Schilddrüse auch gewesen sein mag, wer dabei oder danach eine Hitze in sich aufsteigen spürt oder das Herz in den Ohren pochen hört – es sind ganz sicher nicht die Hormone der Schilddrüse, die für diese Reaktion verantwortlich sind.

Ob Schilddrüsenhormone ausgeschüttet werden oder nicht, hängt unter anderem auch noch davon ab, welche längerfristigen Anforderungen an den Energieumsatz des Körpers gestellt und wie viel Zucker längerfristig in der Leber aufgebaut werden soll. In der Jugend sorgen die Schilddrüsenhormone darüber hinaus auch für den harmonischen Ablauf des Längenwachstums. Wird zu wenig Schilddrüsenhormon gebildet, sinkt langsam der Stoffwechsel, das Körpergewicht nimmt zu, die Betroffenen fühlen sich abgeschlagen und antriebslos. Wird in der Schilddrüse zu viel Hormon produziert, erhöht sich langsam der Energieumsatz des Körpers, der Mensch verliert dadurch immer mehr an Gewicht; Schlafstörungen und das Gefühl innerer Unruhe sind dann häufig.

Es ist also offensichtlich, dass endokrine Drüsen wie die Schilddrüse, die Nebennierenrinde oder die Hypophyse in ihrer Funktion auf keinen Fall von mechanischem Druck abhängig sein dürfen.

Ihre Regulation geschieht als Antwort auf die körpereigene Wahrnehmung des Zusammenspiels verschiedener Stoffwechselprozesse. Überdies sind die Regulationsmechanismen gerade dieser Drüsen langfristig angelegt und zeigen sich gegenüber kurzfristigen Schwankungen unbeeindruckt. Das bedeutet natürlich nicht, dass das endokrine System unabhängig von „außen“ arbeiten könnte. Im Gegenteil sind Stress, Entspannung, körperliche Aktivität, helle und dunkle Gedanken tatsächlich in der Lage, das gute Funktionieren dieses Systems zu fördern oder zu behindern. Aber keine dieser Einflussnahmen vermag eine endokrine Drüse direkt zu erreichen, kann die Ausschüttung eines bestimmten Hormons verstärken oder verringern.

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Einleitung

Es ist lange Zeit üblich gewe­sen, Āsana eine direkte Wir­kung auf die unterschied­lichen Drüsen des Körpers zuzu­schreiben. Dabei war es hauptsächlich die Schilddrüse, die im Mittelpunkt der Argumentation stand, wenn es darum ging, einen Einfluss be­stimm­­ter Āsana auf das System der menschlichen Drüsen zu behaup­ten.

Warum gerade der Schilddrüse so viel Aufmerksamkeit zuteilwurde, liegt sicherlich hauptsächlich daran, dass mit einigen Āsana ganz offen­sichtlich starker Druck auf den Be­reich dieser Drüse ausgeübt werden kann. Dies gilt besonders für Übun­gen wie den Schulterstand (sarvāṇgāsana) und den Pflug (halāsana). Durch diesen Druck, so glaub­te man, könne die Schilddrüse auf die eine oder andere Weise er­reicht und beeinflusst werden ...

  • „Wichtigster Effekt des Schulter­stands ist die Anregung der Schild- und Nebenschilddrüse durch den Druck des Kinns auf die Brust.“
  • „Der Schulterstand wirkt durch den Druck auf die Schilddrüse ge­wichtsreduzierend“.
  • „Erstaunlicherweise haben viele der Āsana eine direkte Wirkung auf die Drüsen und helfen ihnen, richtig zu arbeiten. Sarvāṇgāsana tut dies für die Schilddrüse und die Neben­schilddrüsen, die in der Halsregion liegen, da durch die feste Abrie­ge­lung des Kinns die Blutzufuhr ge­stärkt wird.“
  • „Die Schilddrüse wird kompri­miert und profitiert von einem er­höh­ten Blutzufluss, wodurch ihre Funktion normalisiert wird … bei Menschen, bei welchen die Schild­drüse nicht genügend Hormon ab­sondert, wird der Stoffwechsel ver­langsamt, die Haut blutarm, und der Blutdruck sinkt … in solchen Fällen übt halāsana eine glückliche Wir­kung aus.“

Diese Zitate sind weitverbreiteten Büchern über Yoga entnommen, und es würde keine Mühe bereiten, weitere an­zufügen. Die dort geäußerten Ver­spre­chun­gen basieren alle auf einer ganz bestimmten Vorstellung von der Wirkungsweise der Schild­drüse. Man glaubt hier tatsächlich, durch Druck auf das Gewebe der Schild­drüse die Ausschüttung der Hor­mone beeinflussen zu können, die dort produziert und gespeichert werden. Die Schilddrüse gleicht in einer solchen Vorstellung einem Schwamm, aus dem sich die Schild­drüsenhormone durch entspre­chen­den Druck auspressen oder durch erhöhte Blutzirkulation heraus schwemmen lassen. Mit der Wirk­lichkeit hat diese Vorstellung aber nichts zu tun und es ist für unser alltäg­li­ches Wohlbefinden ein Glück.

Um es vorwegzunehmen: Überhaupt keine Drüse im Körper, die Hormone bil­det und abgibt, lässt sich auch nur im Mindesten von mecha­ni­schen Reizen wie Druck beeinflussen.

Auch eine ver­mehrte Durchblutung bleibt ohne Auswirkung auf ihre hormonelle Funktion. Das gilt nicht nur für die Schilddrüse, sondern auch für alle anderen sogenannten endo­kri­nen Drüsen, wie die Neben­nierenrinde, von der manchmal behauptet wird, sie ließe sich durch Rückwärtsbeugen wie die Kobra (bhujaṅgāsana) oder die Heu­schre­cke (śalabhāsana) anregen.

Wie arbeiten Drüsen?

Warum etwa ein Āsana wie der Schulterstand bei der Schild­drüse tatsächlich keinerlei Eindruck hinterlässt, macht ein Blick auf die Funktionsweise dieser Drüse deut­lich. Ausführliche Informationen dazu finden sich weiter unten unter der Überschrift Keine Tube Mayonnaise – Zur Physiologie der Schilddrüse. Deshalb an dieser Stelle nur das Wichtigste in Kürze: Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den Drüsen des Körpers, die ihre Inhalts­stoffe nach außen und solchen, die ihre Inhaltsstoffe nach innen abgeben.

Drüsen zum Drücken

Wenn man nach Drüsen sucht, die tatsächlich auf mechani­schen Druck reagieren, dann kann man bei einigen Drüsen fündig werden, die eine besondere Flüssigkeit absondern und sie als Sekret nach außen abgeben. Dazu gehören etwa die Speichel- und Milch­drüsen. Neben vegetativen Reizen – wie der Gedanke an das Auspressen einer Zitrone – reagieren etwa die Speicheldrüsen hauptsächlich darauf, dass sie beim Kauen gedrückt und bewegt werden. Diese Massage ist sogar notwendig, damit sie ihr die Verdauung unterstützendes Sekret in ausreichendem Maß ausscheiden und über besondere Drüsengänge als Speichel in den Mundraum hi­nein abgeben können. Und natür­lich sind es die Milchdrüsen in der Brust, die ihr Sekret, also die Milch, auf Druck nach draußen abge­ben.

Innere Drüsen

Auf grundsätzlich andere Art arbeiten dagegen Drüsen, die von den Physiologen als endo­krin (nach innen gerichtet) bezeichnet werden. Sie scheiden kein Sekret aus, sondern bilden die verschiedenen Hormone des Körpers. Diese Hormone geben die en­do­krinen Drüsen über besondere Transportwege durch die Zellwände hindurch direkt in die Blut­bahn hinein ab.

Als Teil des komplexen hor­mo­nellen Systems lassen sich die endokrinen Drüsen gerade nicht durch Druck oder andere me­cha­nische Einflüsse reizen.

Tatsächlich kontrollieren die endokrinen Drüsen eine unüberschaubar große Zahl inein­ander ver­wobener Körperfunktionen und garantieren deren Harmonie, indem sie dafür sorgen, dass diese zahl­reichen Funktionen und Prozesse aufeinander abgestimmt bleiben. Die unter­schiedlichsten Anforderungen, denen ein Mensch gerade aus­gesetzt ist, werden so auf eine passende, angemessene und gesunde Art und Weise beantwortet. Was an Schilddrüsenhormonen freigesetzt wird, wird sich deshalb allein aus den Notwendigkeiten dieser globalen Stoffwechselprozesse in ihrem Zusammenspiel bestimmen. Genau dieser Aufgabe entsprechend ist die Regulation der Schilddrüse auch organisiert. Es wäre für die Harmonie unserer Körperprozesse und für unser subjektives Wohlbefinden verheerend, wenn sich der Fluss der Schild­drüsenhormone unter Druck oder durch eine besondere Körperposition auch nur minimal verändern ließe. Das Gleiche gilt übrigens auch von allen anderen endokrinen Drüsen wie der Nebenniere oder der Hirnanhangsdrüse, der Hypophyse.

Wenn es wirklich drückt – Āsana und Schilddrüsenvergrößerungen

Der Hormonhaushalt der Schilddrüse ist durch besondere Körperhaltungen nicht zu beeinflussen. Trotzdem können bestimmte Āsana bei Menschen, die unter Problemen mit der Schilddrüse leiden, unmittelbare Wirkung zeigen. Und das gilt tatsächlich am häufigsten, für die Āsana, bei deren Praxis das Kinn auf den Hals drückt. Wie ist dies zu erklären?

Am augenfälligsten sind in der Regel die Auswirkungen auf die Praxis bestimmter Āsana dort, wo eine Schilddrüse in ihrem Volumen vergrößert ist. Vorweg – die Vergrößerung einer Schilddrüse sagt nichts darüber aus, ob sie in ihrer Funktion gestört ist. Es ist sogar eher die Regel, dass selbst eine zu einem deutlich sichtbaren Kropf vergrößerte Schilddrüse ganz normal arbeitet. Allerdings kann ein Anwachsen der Schilddrüse auch zu einer Fehlfunktion der Schilddrüse führen, zum Beispiel wenn durch einen Tumor Schilddrüsengewebe gebildet wird, das nicht mehr der normalen endokrinen Regulation unterliegt.

Jede Vergrößerung der Schilddrüse kann jedoch in entsprechenden Āsana unmittelbar und unangenehm zu spüren sein. Ganz im Vordergrund steht dabei ein Druckgefühl im Halsraum bei Übungen, in denen das Kinn Richtung Hals gezogen und so die Schilddrüse nach innen gepresst wird. Das gilt hauptsächlich für Haltungen wie den Schulterstand oder Pflug, manchmal genügt dafür aber auch schon ein Āsana wie die Schulterbrücke (dvipāda pīṭham). Nicht selten bleibt die Problematik solcher Übungen allerdings nicht nur auf ein unangenehmes Druckgefühl im Halsbereich beschränkt, sondern kann sich in die unter­schiedlichsten Missempfindungen hinein fortsetzen. Enge-Gefühle im gesamten Bereich des oberen Brustkorbs können dazu ebenso gehören wie eine deutliche Einschränkung der Atembewegung.

Solche negativen Empfindungen haben leider nicht selten die Tendenz, sich über den Ort ihres Entstehens hinaus auszubreiten. So führen etwa gerade Enge-Gefühle im Bereich des Halses und der Atemwege leicht zu Symp­tomen, die über ein bloßes Druckgefühl weit hinausreichen. Dazu gehören Schweißausbrüche, Herzrasen oder manchmal sogar heftige Panikattacken. Die Ursache auch derartig extremer Störungen liegt dabei aber niemals in einer akuten vermehrten Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen. Sie sind vielmehr Ausdruck einer Reaktion des Vegetativums auf eine besondere Art von Missempfindung (siehe dazu auch Abb. 3 weiter unten).

Entsprechender Druck kann nicht nur bei einer Schilddrüsenvergrößerung unangenehm empfunden werden, sondern auch bei einer Entzündung der Schilddrüse. Auch in diesem Fall wird durch Druck keine vermehrte Hormonausschüttung angeregt. Alle Reaktionen auf starken Druck haben auch hier nicht unmittelbar mit der hormonellen Funktion der Schilddrüse zu tun.

Das ist vergleichbar mit einem Schweißausbruch, der dem starken Schmerz folgt, wenn ich mir mit dem Hammer auf den Finger geschlagen habe.

Dort, wo mein Finger später blau und anschwellen wird, wurden keine Stoffe gebildet, die schweißtreibend sind. Vielmehr reagiert mein ganzes System auf den Schreck, den Schmerz und alle anderen Gefühle, die mit dem Schlag auf den Finger entstanden sind. Diese Reaktion ist unmittelbar und sie ist wenig spezifisch. Es macht keinen Unterschied, ob ich mit dem Hammer meinen Finger oder mein Knie getroffen habe. Weil es nicht von der Funktion der Schilddrüse abhängig ist, welche Erfahrung jemand in einem Āsana macht, das Druck auf den Halsbereich gibt, ist es nicht verwunderlich, dass auch Menschen ohne Probleme mit der Schilddrüse auf solche Āsana mit Enge-Gefühl reagieren können. Dort, wo Atem fließt und dort, wo das Herz nicht weit ist, werden Enge oder andere unangenehme Gefühle eben auf eine besondere und auf besonders intensive Weise erfahren.

Āsana bei einer Überfunktion der Schilddrüse

Häufig kommen Menschen, die an einer Überfunktion der Schilddrüse leiden, mit jedweder Umkehrposition gut zurecht. Auch dies liegt nicht an deren Einwirkungen auf die Stoffwechsellage der Schilddrüse, sondern hat andere Gründe. Bei ei­ner Schilddrüsenüberfunktion sind viele Körperprozesse beschleunigt, das Vegetativum steht unter Dauerbelastung. Seine Fähigkeit, regulierend zu wirken, ist erheblich eingeschränkt. Der Körper kann auf einen Wechsel in der Körperhaltung, wie es Umkehrpositionen nun einmal verlangen, nicht mehr angemessen reagieren. Deshalb – und nicht wegen einer möglichen Beeinträchtigung ihrer hormonellen Situation – sollten Menschen mit Schilddrüsenüberfunktion von diesen Haltungen Abstand nehmen.

Drei Erkrankungen der Schilddrüse in Kürze beschrieben

  1. Die Vergrößerung der Schilddrüse – euthyreote Struma
    Mehr als 90 % aller Schilddrüsenerkrankungen bestehen in einer Vergrößerung der Schilddrüse bei normaler Hormonproduktion. Der medizinische Begriff dafür ist: euthyreote – normal Hormon produzierende Struma (Schilddrüsenvergrößerung). Bei etwa 30 % der deutschen Bevölkerung lässt sich eine solche Schilddrüsenvergrößerung feststellen, die ohne Einfluss auf das regelrechte Funktionieren der Schilddrüse bleibt.
  2. Unterfunktion der Schilddrüse – Hypothyreose
    Am häufigsten tritt diese Erkrankung als Folge einer Autoimmunstörung auf. Die wichtigsten Symptome sind Leistungsabfall, Antriebsarmut, Verlangsamung, eine gesteigerte Kälteempfindlichkeit. Die Haut ist trocken, kühl und teigig, das Haar wird brüchig, die Stimme rau und heiser. Die schulmedizinische Behandlung besteht in der Regel in der Gabe von Schilddrüsenhormonen.
  3. Überfunktion der Schilddrüse – Hyperthyreose
    Auch die Überfunktion der Schilddrüse wird häufig in den Zusammenhang mit bestimmten Autoimmunerkrankungen gebracht. Daneben kommt es auch vor, dass in der Schilddrüse Drüsengewebe gebildet wird, das auf die hormonelle Steuerung nicht mehr reagiert. Das Signal des Körpers, dass genug Schilddrüsenhormon vorhanden ist, wird von diesen Zellen nicht mehr gehört, sie produzieren weiter und überschwemmen den Körper mit Schilddrüsenhormon. Eine Überfunktion der Schilddrüse kann sich äußern in einer psychomotorischen Unruhe, einem beschleunigten Herzschlag, einem Gewichtsverlust (trotz Heißhungers); die Haut ist warm und feucht, Wärme wird schlecht ertragen.

Die Konsequenzen

Praktisch gesehen bedeuten all die­se Fakten für die Praxis von Āsana zweierlei.

  1. Es entspricht nicht der Wahrheit, wenn behauptet wird, dass Āsana einen direkten Einfluss auf die Funktion der Schilddrüse oder anderer endokrinen Drüsen hätten. Genauso unaufrichtig wäre es, den Eindruck zu erwecken, eine Haltung wie der Schulterstand könnte eine gestörte Schilddrüsenfunktion harmonisieren.
  2. Die Tatsache, dass mit Āsana die Schilddrüse nicht direkt erreicht werden kann, gilt natürlich auch für mögliche negative Auswirkungen. Niemand braucht Sorge zu haben, dass bei einer bestehenden Überfunktion der Schild­drüse ein Schulterstand zu ei­ner zusätzlichen Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen führen könn­te.

Die Begründung von Āsana-Wirkungen durch ihren mechanischen Einfluss auf die Drüsen ist also unsinnig und die Frage ist erlaubt, warum eine solch offensichtlich untaugliche Erklärung trotz­dem so große Verbreitung finden konnte? Viveka hat sich diese Frage schon einmal gestellt, nämlich angesichts der Theorien, die fälschlicherweise glauben machen wollen, auf dem Kopf zu stehen, verbessert die Durchblutung des Gehirns. Siehe dazu Mythos Kopfstand in Viveka Nr. 17.

Ob es sich um Erklärungen zu den Vorteilen des Kopfstandes handelt oder zu der Rolle und Beeinflussbarkeit der Schilddrüse (oder der Nebenniere, oder des Drüsensystems insgesamt), oder ob die Wirkweise von Āsana überhaupt angesprochen ist, die Muster solcher Argumentationen ähneln sich. Es fallen dabei besonders drei Aspekte auf:

  1. Als Erklärungsmodelle werden Vorstellungen von der Funktion des Menschen entworfen, die durch und durch mechanisch sind. Dass dort, wo unten ist, mehr Blut fließen soll (zum Beispiel im Kopf beim Kopfstand) oder dort, wo das Kinn auf eine Drüse drückt, Hormone fließen, kann nur glauben, wer den menschlichen Körper mit einem leblosen Ra­diogerät verwechselt, bei dem sich auf Knopfdruck die einzelnen Sender einstellen lassen.
  2. Viele Versuche, die Wirkung von Yogapraxis zu erklären, scheinen von dem Drang geprägt, jedem Āsana eine vom je besonderen Menschen unabhängige und immer gleiche Wirkung zuzuordnen. Diese Herangehensweise ist schon bei der Betrachtung der Wirkung einer Aspirintablette falsch, wie viel weniger eignet sie sich für die Erklärung der Wirkung von Āsana.
  3. Offensichtlich herrschte in der Vergangenheit zu wenig Austausch zwischen den Yogalehrenden und den unter ihrer Anleitung Übenden ebenso wie zu wenig Austausch zwischen den Yogalehrenden selbst. Es fehlte lange Zeit das Interesse, einmal genauer hinzuschauen, welche Wirkung die unterrichteten Āsana bei den Übenden tatsächlich entfalten können. Um das zu erfahren, braucht es eine stetige Nachfrage, eine Beobachtung, die nicht für alles ein schon fertiges Kästchen bereithält und natürlich eine achtsame Begleitung über viele Monate und Jahre.

Vielleicht ist es einfacher, selbst krudeste mechanistische Vorstellungen über die Wirkweise von Yogaübungen – die Schilddrüse ist ein ausdrückbarer Schwamm – unbesehen abzuschreiben, als sich die Mühe zu machen, den Bezug solcher Aussagen mit erlebter Erfahrung zu suchen. Ignoranz ge­genüber der fas­zinierenden Komplexität des mensch­­lichen Systems und der Be­son­derheit eines jeden Individuums sind wenig hilfreich, Yoga einem selbst und anderen verständlicher zu machen.

Keine Tube Mayonnaise – Zur Physiologie der Schilddrüse

Die wissenschaftliche Erforschung des menschlichen Systems ist gerade in den vergangenen Jahrzehnten rasant fortgeschritten. Und je mehr das Wissen der modernen Physiologie um den menschlichen Körper wächst, desto deutlicher zeigen auch ihre Erkenntnisse, wie sehr die verschiedenen Organe, Zellen, Stoffwechselprozesse und Funktionen des Körpers auf die vielfältigste und wunderbarste Weise miteinander verwoben sind.

Kein Teil des menschlichen Körpers arbeitet allein vor sich hin, sondern jede Bewegung, jeder Moment der Verdauung eines Brötchens, jeder Anstieg unseres Pulses, jede Rötung unserer Wangen, jedes Durstgefühl, jedes Frösteln, jede Aufregung, jedes Gefühl und jeder Gedanke ist eingebettet in ein nur in groben Zügen überschaubares Geflecht unterschiedlichster Körperprozesse.

Diese Prozesse beziehen sich aufeinander, sind voneinander abhängig, nehmen einander wahr, beeinflussen einander, stimmen sich aufeinander ab und fügen sich zu einem einheitlichen Ganzen, unserem lebenden Körper. Was gewährleistet nun diese enge Verbundenheit, Verflechtungen und Abhängigkeiten?

Vereinfacht dargestellt, beschreibt die Physiologie zwei besondere Systeme, die dafür sorgen, dass sich alle Körperzellen aufeinander beziehen und untereinander abstimmen können: das Nervensystem einerseits und das sogenannte endokrine System andererseits.

Das Nervensystem

Zunächst folgen einige Informationen zum Nervensystem, wie sie für die Betrachtung der Funktion der Drüsen notwendig sind. Im Nervensystem werden Informationen auf einem Leitungsweg – eben den Nerven – übertragen. Man kann sich das in etwa so vorstellen wie die Übermittlung der Worte bei einem Telefongespräch über die Telefonleitung. Das Wort „Hallo“ wird auch nicht direkt durch den Draht vermittelt, sondern erst einmal zu elektrischen Impulsen verschlüsselt. Das menschliche Leitungssystem verschlüsselt Botschaften aber nicht nur, es arbeitet noch ungleich komplizierter und komplexer. Für die weitere Betrachtung hier kann bei dieser sehr vereinfachten, dafür aber anschaulichen Beschreibung geblieben werden.

Im Nervensystem werden Nachrichten zunächst zu elektrischen Impulsen verschlüsselt, so über die Nervenbahnen geleitet und am Bestimmungsort in chemische Signale umgewandelt. Diese Signale lösen dann eine entsprechende Reaktion aus. Auf diese Weise erhöht sich unter anderem der Herzschlag, wenn jemand überraschend einen lieben Bekannten wiedersieht. Ein anderer bewegt seinen kleinen Finger und dazu läuft ein ähnliches Signal – Reaktionsmechanismus ab. Es gibt einen Ursprung der Nachricht (bei der Bewegung des kleinen Fingers etwa die Großhirnrinde), es gibt bestimmte Nervenzellen und Nervenbahnen, an denen entlang die Nachricht übertragen wird (hier zum Beispiel von der Großhirnrinde über das Kleinhirn, das Rückenmark hinein in die Nerven des Armes), und es gibt ein Ziel, an dem diese Nachricht schließlich ankommt (in diesem Beispiel sind das die Muskeln, die den kleinen Finger bewegen können). Bei der Wahrnehmung eines Luftzuges auf unserer Haut zum Beispiel nimmt die Nachricht den umgekehrten Weg. Wahrnehmungsorgane in der Haut registrieren den Luftzug, wandeln dieses Geschehen in einen elektrischen Code, dieser Code wird über die Nervenbahnen zum Hirn geleitet und dort entsteht schließlich die Wahrnehmung – Luftzug auf der Haut. Ist dieser Übertragungsweg unterbrochen, etwa durch die Verletzung eines Nervens oder den Druck einer Bandscheibe auf eine Nervenbahn, werden wir für den Luftzug taub, die Wahrnehmung davon erreicht uns nicht mehr.

Das endokrine System

Als endokrines System beschreibt die Physiologie das System der hormonellen Regulation in unserem Körper. Es arbeitet als ein Zusammenspiel von hormonbildenden Drüsen, den Hormonen selbst und besonderen Zellen, die nicht nur Hormonkonzentrationen, sondern auch alle anderen Körperfunktionen wie den Blutdruck, den Sauerstoffgehalt des Blutes oder die Konzentration bestimmter Salze wahrnehmen können. Solche Zellen nennt man Wahrnehmungs- oder Rezeptorzellen.  Dieses System ist durch den Blutkreislauf und die Körperflüssigkeiten insgesamt verbunden.

Weil die Hormone von Drüsenzellen nach innen, genauer gesagt in die Blutbahn hinein abgegeben werden (und nicht nach außen, wie der Talg aus einer Talgdrüse der Haut), wird das ganze System und die daran beteiligten Drüsen „endo-krin“, nach „innen ausschüttend“ genannt. Zu den endokrinen Drüsen gehört etwa die Schilddrüse, die Eierstöcke oder die Nebennieren. Eine Übersicht wichtiger endokriner Drüsen zeigt Abb. 1.

Das endokrine System
Abb. 1 – Bildquelle: medi-karriere

In mancherlei Hinsicht ist das endokrine System dem Nervensystem ähnlich. Auch im endokrinen System geht es um die Verbindung unterschiedlicher Zellen, Organe und Körperfunktionen, um ein gegenseitiges Verstehen und ein Aufeinander-Reagieren. Im endokrinen System gibt es Orte, an denen Nachrichten ihren Ausgang nehmen, und Organe, die das Ziel dieser Nachricht sind. Im Unterschied zum Nervensystem arbeitet das endokrine System aber „drahtlos“ und die „Nachrichten“ werden hier durch besondere Substanzen übertragen. Sie werden von entsprechenden Drüsen ausgeschüttet, erreichen ihren Bestimmungsort auf dem Blutweg und lösen dort eine gewünschte Reaktion aus. Substanzen, die in unserem Körper auf diese Weise Informationen übermitteln, nennt man Hormone.

Das Nervensystem ist hauptsächlich dann gefordert, wenn der Bewegungsapparat genutzt wird, wenn mithilfe der Sinnesorgane gespürt wird, beim Sehen oder Fühlen. Es überträgt vorrangig schnelle und gezielte Informationen. Das endokrine System dagegen hat seinen Schwerpunkt in einem anderen Bereich. Es dient mehr der lang dauernden und globalen Steuerung unterschiedlichster Stoffwechselprozesse. So bringen Hormone Stoffwechselprozesse wie das Wachstum, die Bildung von Blutkörperchen, den Menstruationszyklus oder auch die Bildung des Blutzuckers in Gang. Sie kontrollieren das Ausmaß solcher Prozesse, können sie verstärken, bremsen oder beenden. Gebildet und abgegeben werden diese Hormone durch eine Vielzahl von Drüsen, den endokrinen Drüsen. Sie sind an unterschiedlichen Stellen des Körpers lokalisiert. Die zuerst erforschten und wohl auch bekanntesten endokrinen Drüsen sind die Schilddrüse und die Sexualdrüsen wie Eierstöcke und Hoden. Endokrine Drüsen gibt es aber auch anderswo; zu ihnen gehören die Nebennieren, die Nebenschilddrüsen und vor allem auch die Hirnanhangsdrüse, die sogenannte Hypophyse, der in der Steuerung vieler hormoneller Prozesse eine Schlüsselrolle zukommt. Wie nun können diese endokrinen Drüsen erreicht werden, wie können sie in ihrer Funktion beeinflusst werden, auf welche Ansprache können sie reagieren?

Was kann eine endokrine Drüse beeinflussen?

Bei keiner dieser endokrinen Drüsen ist es möglich, sie durch mechanischen Druck, sei er auch noch so massiv, zu einer Veränderung in ihrer Funktion zu bewegen. Ebenso wenig lassen sie sich in ihrem hormonellen Wirken durch eine Veränderung der Durchblutung (solange sie nicht massiv krankhaft vermindert ist) beeinflussen.

Um es ganz deutlich zu sagen: Wollte man das in ihr enthaltene Schilddrüsenhormon durch äußere Einwirkung freisetzen, müsste man die Schilddrüse tatsächlich in einem Mixer pürieren.

Wenn sich die endokrinen Drüsen also als vollkommen unempfindlich gegenüber mechanischen Belastungen zeigen, wenn sie ihre Funktion nicht über eine Zunahme oder Abnahme ihrer Durchblutung steuern, wie wird dann die Freisetzung ihrer Hormone reguliert?

Nicht nur für einen Laien drängt sich schon bei einer oberflächlichen Annäherung an diese Frage ein Eindruck ganz in den Vordergrund: Die Freisetzung eines Hormons wie das der Schilddrüse hat keine Ähnlichkeit mit dem Daumendruck, der die Mayonnaise aus ihrer Tube drückt, sondern ist ein Vorgang von größter Komplexität.

Bei seiner Be­trach­tung steht man staunend vor einer wunderbaren Welt, in der tatsächlich alles miteinander verbunden ist, in der jeder Vorgang von unzähligen anderen abhängig ist und wiederum unzählige andere Prozesse beeinflusst.

Und dies alles dient dazu, die Harmonie des Körpers zu erhalten, die Gesundheit zu stärken und den Aufgaben gewachsen zu sein, die der Alltag stellt. Die Aufgaben, bei deren Bewältigung das endokrine System beteiligt ist, reichen vom Kinderkriegen über das Ertragen einer sibirischen Kälte, vom Überleben eines Wassermangels bis zur Bewältigung eines zu fetten Eis­beins, vom Erwachsen-Werden bis zur Blutbil­dung, von der Bereitstellung der Nährstoffe für die Muskeln bei jedem Schritt bis zur Bewältigung des Stresses im Büro.

Zu guter Letzt: Die Grundprinzipien der hormonalen Regulation

In all seiner Kompliziertheit und wunderbaren Vielfalt gibt es Grundstrukturen, nach denen das endokrine System funktioniert. Die meisten endokrinen Drüsen (etwa die Schilddrüse) werden von der sogenannten Hypophyse, der Hirnanhangsdrüse, gesteuert. Um diese Steuerung zu bewirken, gibt die Hypophyse selbst entsprechende Botenstoffe, also Hormone, in die Blutbahn ab. Wenn dann der passende Botenstoff aus der Hypophyse die Schilddrüse erreicht, führt dies zu einer vermehrten Produktion von Schilddrüsenhormon, oder es wird vermehrt Schilddrüsenhormon ausgeschüttet, das dort vorher schon gespeichert war. Die Schilddrüse kennt keinen anderen Reiz und reagiert hormonell auf nichts anderes als auf diese besonderen, von der Hypophyse ausgesandten Botenstoffe, die sie über die Blutbahn erreichen. Auch wenn wir damit schon weit entfernt sind von Vorstellungen, die glauben machen wollen, die Schilddrüse könne durch eine bestimmte Körperhaltung beeinflusst werden – die in der Schilddrüse wirkenden Prozesse sind noch ein wenig komplexer.

Die Hypophyse selbst unterliegt nämlich einer besonderen Regulation, ohne die sie keinen Einfluss auf die Schilddrüse nehmen kann. Diese Regulation der Hypophyse leistet der Hypothalamus, er wird auch – Zwischenhirn – genannt. Dort wird die Verbindung zwischen drei wesentlichen Systemen des menschlichen Körpers organisiert, dem somatischen (Organe wie Muskeln, Haut, Leber etc.), dem vegetativen (Sympathikus und Parasympathikus) und dem endokrinen System (die hormonellen Regulationen). Siehe dazu auch Abb. 2.

Hypophyse
Abb. 2 – Bildquelle: Gesundheit.GV.AT

Hypothalamus und Hypophyse sind also die Chefetagen, in denen über den Einsatz und die Arbeitsweise der inneren Drüsen entschieden wird. Die Regulation endokriner Drüsen ist Ausdruck einer ständigen körpereigenen Beobachtung von Stoffwechselprozessen und der Wahrnehmung bestimmter Anforderungen, die an das Körpersystem gestellt werden.

Das endokrine System und die endo­krinen Drüsen haben somit eine ganz besondere Blickrichtung – ihr Blick richtet sich nach innen, auf das innere Milieu des Körpers und ist getragen von der Notwendigkeit, dieses innere Milieu gesund und leistungsfähig zu erhalten.

Nur aus diesem inneren Milieu heraus lassen sich die endokrinen Drüsen beeinflussen, immer vermittelt über vielfache Wahrnehmungs- und Steuerungsprozesse.

Auf diese Weise wird etwa darüber gewacht, ob die Anzahl der roten Blutkörperchen ausreichend ist für eine gute Versorgung aller Organe mit Sauerstoff. Reist man in das peruanische Hochland, wo die Atemluft weniger Sauerstoff enthält als im Flachland, wird dies vom Körper wahrgenommen (siehe dazu auch Abb. 3). In der Folge bildet sich (in diesem Fall in der Niere) vermehrt ein Hormon, das die Erzeugung roter Blutkörperchen anregt. Dieses Hormon wird ausgeschüttet und tatsächlich steigt nun die Konzentration der roten Blutkörperchen im Blut an. Kehrt man ins Flachland zurück, wird auch diese neue Situation von den entsprechenden Zentren wahrgenommen und über die hormonelle Steuerung kehrt das Blut wieder zu seiner alten Zusammensetzung zurück.

Abb. 3 – Bildquelle: www.melissengeist.de

Auf die gleiche Art und Weise wird auch die Funktion der Schilddrüse reguliert. Dabei ist interessant, dass nicht nur die Steigerung und Senkung der Produktion des Schilddrüsenhormons von bestimmten Botenstoffen abhängig sind. Auch die Ausschüttung des Schilddrüsenhormons aus den Schilddrüsenzellen in die Blutbahn selbst ist ein sehr komplexer Prozess. Vor allem aber ist diese Ausschüttung ein aktives Geschehen. Das Hormon kann nicht einfach durch die Zellwand wandern oder gar durch Druck auf die Zelle herausgedrängt werden. Vielmehr werden die einmal produzierten Hormonmoleküle in einer besonderen Struktur innerhalb der Schilddrüse gespeichert, der Ort wird als Kolloid bezeichnet, aus der sie nicht einfach oder aus Versehen in die Blutbahn gelangen können. Vor ihrer endgültigen Abgabe in das Blut müssen die Hormonmoleküle in den Schilddrüsenzellen noch einmal besonders bearbeitet werden. Damit aber nicht genug. Um endlich ihre Reise in der Blutbahn anzutreten, werden die einzelnen Hormonmoleküle nun auch noch an bestimmte Transportmoleküle angebunden.

Auf diese Weise zirkulieren die Schilddrüsenhormonmoleküle im Huckepack dann tagelang durch den Körper. Erst allmählich docken sie an ihren Zielorganen an und lösen dort die gewünschten Reaktionen aus (so steigern sie etwa den Stoffwechsel einer Zelle, bei der sie landen). Der tägliche Umsatz an Hormonen ist dabei sehr gering. Deshalb ziehen tageszeitliche Schwankungen und kurzfristige Änderungen der Hormonausschüttung in der Schilddrüse kaum Änderungen im Hormonspiegel im Blut nach sich.

Wie stark also der Druck auf die Schilddrüse auch gewesen sein mag, wer dabei oder danach eine Hitze in sich aufsteigen spürt oder das Herz in den Ohren pochen hört – es sind ganz sicher nicht die Hormone der Schilddrüse, die für diese Reaktion verantwortlich sind.

Ob Schilddrüsenhormone ausgeschüttet werden oder nicht, hängt unter anderem auch noch davon ab, welche längerfristigen Anforderungen an den Energieumsatz des Körpers gestellt und wie viel Zucker längerfristig in der Leber aufgebaut werden soll. In der Jugend sorgen die Schilddrüsenhormone darüber hinaus auch für den harmonischen Ablauf des Längenwachstums. Wird zu wenig Schilddrüsenhormon gebildet, sinkt langsam der Stoffwechsel, das Körpergewicht nimmt zu, die Betroffenen fühlen sich abgeschlagen und antriebslos. Wird in der Schilddrüse zu viel Hormon produziert, erhöht sich langsam der Energieumsatz des Körpers, der Mensch verliert dadurch immer mehr an Gewicht; Schlafstörungen und das Gefühl innerer Unruhe sind dann häufig.

Es ist also offensichtlich, dass endokrine Drüsen wie die Schilddrüse, die Nebennierenrinde oder die Hypophyse in ihrer Funktion auf keinen Fall von mechanischem Druck abhängig sein dürfen.

Ihre Regulation geschieht als Antwort auf die körpereigene Wahrnehmung des Zusammenspiels verschiedener Stoffwechselprozesse. Überdies sind die Regulationsmechanismen gerade dieser Drüsen langfristig angelegt und zeigen sich gegenüber kurzfristigen Schwankungen unbeeindruckt. Das bedeutet natürlich nicht, dass das endokrine System unabhängig von „außen“ arbeiten könnte. Im Gegenteil sind Stress, Entspannung, körperliche Aktivität, helle und dunkle Gedanken tatsächlich in der Lage, das gute Funktionieren dieses Systems zu fördern oder zu behindern. Aber keine dieser Einflussnahmen vermag eine endokrine Drüse direkt zu erreichen, kann die Ausschüttung eines bestimmten Hormons verstärken oder verringern.

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