Sprechen – Zuhören und Verstehen
Yoga ist nicht nur Āsana, nicht nur Prāṇāyāma, nicht nur Meditation. Yoga ist auch Gespräch.
Bei jedem Kontakt, den wir im Yoga mit Teilnehmer:innen oder Klienten haben, ist das Ziel, möglichst gut zu verstehen, was unser Gegenüber in den Unterricht mitbringt, damit wir angemessene Antworten und passende praktische Vorschläge entwickeln können.
Dort, wo Yoga im Gruppenformat unterrichtet wird, sind dem individuellen Gespräch immer Grenzen gesetzt. Dies gilt natürlich auch für den Kontakt mit solchen Teilnehmer:innen, die mit Post-Covid zu tun haben. Doch deren Anliegen und gesundheitliche Einschränkungen sollten auch im Gruppenformat grundsätzlich bekannt sein und möglichst früh erfasst werden. Ein Eingangsgespräch sollte auf alle Fälle stattfinden und Feedbacks zum Erleben des Unterrichts sind willkommen. Wegen der Komplexität und des aktuellen Wissensstands zu dem neuen Krankheitsbild Post-Covid macht es Sinn, sich für daran erkrankte Teilnehmer etwas mehr Zeit zu nehmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie vor ihrer Erkrankung schon als Teilnehmer bekannt waren oder sie neu dazu kommen.
Bedenkenswert dabei: Der erste Kontakt, der zwischen einem Yogaunterrichtenden und jemandem, der unter Post-Covid leidet, stattfindet, ist von einer großen Asymmetrie geprägt. Einerseits ein gesunder Mensch, der Yogaunterricht anzubieten hat, andererseits eine Person, die von einer unterschiedlich intensiven, jedoch immer individuell starken Leiderfahrung geprägt ist, der gesellschaftlich nicht immer genügend Verständnis entgegengebracht wird. Neben den Beschwerden und Einschränkungen berichten die Betroffenen von dem Gefühl der Ohnmacht und des Allein-Gelassen-Seins, davon, sich ständig rechtfertigen zu müssen, um nicht als Hypochonder abklassifiziert zu werden.
Optimistische Vorschläge mögen sich da schnell aufdrängen; Hinweise wie „Das wird doch sicher besser“, „schauen Sie, dies oder das können Sie ja doch“ fordern von den Betroffenen eine Zustimmung ein, die für sie keine Erfahrung repräsentiert und verstärken das Gefühl, unverstanden zu sein. Auch das zustimmende, von Mitleid getragene „Katastrophisieren“ ist wenig hilfreich. „Ja, stimmt, Sie haben da eine Erkrankung erwischt, über die man noch immer viel zu wenig weiß“, „die Erkenntnisse bisher sind in Bezug auf die Chronifizierung bis jetzt nicht sehr ermutigend“ sind Bemerkungen, die einer zukünftigen Yogaarbeit miteinander unzuträglich sind.
Sehr positiv hingegen ist das reine aufmerksame Zuhören und Registrieren dessen, was berichtet wird.
Das Gespräch im individuellen Setting enthält eine weitere Dimension. Neben allen Kenntnissen und praktischen Vorschlägen, die die Mittel des Yoga zu bieten haben, sei daran erinnert, was das Herz des Yoga ist:
Die Verringerung von Leid. Heyam duhkham anāgatam Yoga Sūtra, 2. Kapitel - Sūtra 16 heißt es im Yoga Sūtra. Es bedeutet in einem ersten Schritt, ein bestehendes Leiden anzuerkennen als eines, das nicht an einem abstrakten Durchschnitt gemessen werden kann, sondern ausschließlich als Leiden eines individuellen Menschen zu begreifen ist.
In einem Gespräch, in dem die Betroffenen ihre Nöte und Einschränkungen, ihr Mangelgefühl, ihren Kompetenzverlust und ihre Mutlosigkeit thematisieren, bedeutet für Yogalehrende, ein hohes Maß an Geduld, Zeit, Empathie und Respekt aufzubringen.
Yoga ist neben Asana, Prāṇāyāma und Meditation auch – wie T.K.V. Desikachar immer wieder betonte – Zuhören.
Das Gespräch sucht das Verstehen:
- Welches Anliegen?
- Welche Ressourcen?
- Welche Vorschläge?
Ein gelungenes Gespräch ist von anteilnehmender Aufmerksamkeit geprägt und sucht auf kluge und empathische Weise nach Ressourcen, an denen mit Mitteln des Yoga angesetzt werden kann. Hier machen Nachfragen viel Sinn:
- Habe ich richtig verstanden, dass Ihnen kleine Pausen helfen?
- Wie oft nehmen Sie diese wahr und wie lange?
- Können Sie sich selbst aus einer schlimmen Krise heraushelfen?
- Wie klappt das, nehmen Sie dabei Hilfe in Anspruch? Vielleicht eine andere Person?
- Oder was tut Ihnen sonst noch gut?
- Bewegen Sie sich dann lieber oder ziehen Sie sich besser zurück? usw.
Auf diese Weise lässt sich den Betroffenen helfen, Strukturierungsansätze in ihren Alltag zu erkennen und zu fördern.
- Wie sieht der Tagesablauf aus?
- Schaffen Sie es, einen guten Schlafrhythmus hinzubekommen?
- Wie gestalten Sie das?" usw.
Immer geht es darum, das richtige Maß zu finden zwischen dem Bemühen um Verstehen, wie es dem Klienten, der Klientin geht, und dem Herausfinden, welche Möglichkeiten sich in die Zukunft eröffnen könnten. ▼