Interview mit Frau Dr. Ingrid Kollak

Dr. Ingrid Kollak – Abb. 1

Dr. Ingrid Kollak ist Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Ihr Interessen- und Forschungsschwerpunkt liegt auf Entwicklungen in der Pflegewissenschaft und Pflegetheorie, interkulturellen und internationalen Aspekten pflegerischer Ausbildung und Versorgung sowie Gesundheitsvorsorge und Yoga.

Mit Viveka hat sie über die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts zur Auswirkung von Yoga auf Frauen nach Brustkrebsoperationen gesprochen, bei dem auch Karin Gadischke mitwirkte, die den Viveka-LeserInnen von ihrer Arbeit mit an Brustkrebs erkrankten Frauen bekannt ist.

Interview mit Frau Dr. Ingrid Kollak

Dr. Ingrid Kollak – Abb. 1

Dr. Ingrid Kollak ist Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Ihr Interessen- und Forschungsschwerpunkt liegt auf Entwicklungen in der Pflegewissenschaft und Pflegetheorie, interkulturellen und internationalen Aspekten pflegerischer Ausbildung und Versorgung sowie Gesundheitsvorsorge und Yoga.

Mit Viveka hat sie über die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts zur Auswirkung von Yoga auf Frauen nach Brustkrebsoperationen gesprochen, bei dem auch Karin Gadischke mitwirkte, die den Viveka-LeserInnen von ihrer Arbeit mit an Brustkrebs erkrankten Frauen bekannt ist.

Interview mit Frau Dr. Ingrid Kollak

Dr. Ingrid Kollak – Abb. 1

Dr. Ingrid Kollak ist Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Ihr Interessen- und Forschungsschwerpunkt liegt auf Entwicklungen in der Pflegewissenschaft und Pflegetheorie, interkulturellen und internationalen Aspekten pflegerischer Ausbildung und Versorgung sowie Gesundheitsvorsorge und Yoga.

Mit Viveka hat sie über die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts zur Auswirkung von Yoga auf Frauen nach Brustkrebsoperationen gesprochen, bei dem auch Karin Gadischke mitwirkte, die den Viveka-LeserInnen von ihrer Arbeit mit an Brustkrebs erkrankten Frauen bekannt ist.

Das Interview

Viveka

Frau Kollak, was hat Sie dazu bewogen, die Wirkung von Yoga bei Frauen nach Brustkrebsoperationen zu untersuchen?

Dr. Ingrid Kollak

Am Anfang stand ein Zufall: Vor vier Jahren habe ich Dr. Isabell Utz-Billing auf einer Konferenz kennengelernt. Wir waren uns sympathisch und dachten über eine mögliche Kooperation nach. Ich wollte gerne über die Wirksamkeit von Yoga arbeiten, sie war als Ärztin eines bekannten Brustkrebszentrums daran interessiert, die über die medizinische Versorgung hinausgehende Betreuung weiter auszubauen und zu vertiefen.
Dazu kommen die objektiven Daten: Brustkrebs ist weltweit die am häufigsten diagnostizierte Tumorerkrankung bei Frauen; in Europa gehen über 13 % aller Krebsdiagnosen auf das Konto von Brusttumoren. Nicht zuletzt ist die Tumortherapie sehr kräftezehrend. Das wird bei der Behandlung bisher nicht ausreichend berücksichtigt.

Viveka

Können Sie das einmal genauer ausführen?

Dr. Ingrid Kollak

Für die meisten Frauen kommt die Brustkrebsdiagnose vollkommen überraschend. Aus einer Alltagssituation mit Arbeit und Privatleben, Verpflichtungen und Vergnügungen, in der sie keine Schmerzen oder Beeinträchtigungen verspüren, geraten Frauen in einen für sie undurchsichtigen und anstrengenden Prozess der Diagnostik und Therapie mit unbekanntem Ausgang. Ein eigener Tastbefund oder eine Vorsorgeuntersuchung lassen den Verdacht auf einen Tumor aufkommen, und eine völlige Verunsicherung greift um sich. Diese Unsicherheit bezieht sich auf den Ablauf der Untersuchungen und Behandlungen wie auch auf das Ergebnis und seine Auswirkungen auf das eigene Leben. Die Begleitung der Frauen ist darum ebenso wichtig wie die Behandlung. Das ist zwar bekannt, aber über die Therapie klären die Therapeut/innen höchst unterschiedlich auf, und die begleitende Behandlung zielt nicht immer auf Stärkung und Selbstständigkeit der Frauen.

Viveka

Wie sollte diese Stärkung und Selbstständigkeit der betroffenen Frauen nun durch Yoga erreicht werden?

Dr. Ingrid Kollak

Unsere Studie hieß: Untersuchung zur Auswirkung von Yoga-Übungen auf die körperliche Fitness und das psychische Wohlergehen bei Patientinnen mit Mammakarzinom. Unsere Absicht war es, die Frauen durch Yoga körperlich zu kräftigen und beweglicher zu machen und gleichzeitig Entspannung und Konzentration zu fördern, damit sie ihre psychischen Reserven und ihr Selbstvertrauen wieder spüren und ausbauen können.

Viveka

Wie wurde die Studie aufgebaut, um diese Absichten umzusetzen und nachweisen zu können?

Dr. Ingrid Kollak

In der Literatur haben wir Studien gefunden, in denen sogenannte Entspannungsverfahren miteinander verglichen wurden. Diese Art der Studien hat mir nie ganz zugesagt. Denn ich wollte gerne mit allen Frauen Yoga machen und ich wollte nicht gerne Yoga mit Qigong, Tai-Chi oder Gesprächskreisen vergleichen.
Ich selbst habe mich für Yoga entschieden, aber das ist eine positive Entscheidung für etwas, das für mich gut ist. Es besteht aber für mich kein Bedarf, mich abzugrenzen oder Yoga mit anderen Angeboten zu vergleichen.
Menschen sollen eine Wahl haben und herausfinden, was gut für sie ist. Selbstbestimmung ist für mich wichtig. Das gilt im Prozess der Behandlung und darüber hinaus. Wir haben uns darum für einen Studienablauf entschieden, der zwar ein wenig kompliziert ist, dafür aber genau den gerade genannten Wünschen entspricht:
Alle machen Yoga – allerdings zeitlich versetzt. Es gibt eine Interventionsgruppe, die sofort, d. h., ein, zwei Tage nach der Operation Yoga übt und eine Wartegruppe, die nach fünf Wochen beginnt und als Kontrollgruppe fungiert. Denn zum Zeitpunkt der zweiten Messung haben die Frauen der Interventionsgruppe über fünf Wochen zehnmal Yoga gemacht, die Frauen der Wartegruppe haben keinen Yoga gemacht.
Die Einteilung der Frauen erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Jede Frau, die mitmachen wollte, zog einen Umschlag, in dem dann entweder Interventions- oder Wartegruppe stand. Um die Langzeitwirkung ermitteln zu können, wurden alle Teilnehmerinnen nach drei Monaten erneut befragt. Die Studie erstreckte sich über den Zeitraum vom April 2008 bis November 2009. In dieser Zeit fand regelmäßig ohne Ausfall oder Unterbrechungen zweimal wöchentlich Yogaunterricht statt. Insgesamt haben wir 122-mal Yogaunterricht angeboten, mit jeweils rund 75 Minuten. Bei mehr als zwei Drittel der Stunden war eine zweite Yogalehrerin dabei.

Viveka

Wie sah der Yogaunterricht aus?

Dr. Ingrid Kollak

Es gab das Angebot einer offenen Yoga-Klasse, in die jederzeit Frauen neu hinzukommen konnten. Die eine kurz nach ihrer Operation, die anderen nach fünf Wochen Wartezeit. Nach der zehnmaligen Teilnahme konnten Frauen weiter mitmachen, da genug Raum vorhanden war.
Manche Āsana haben wir für alle in einer modifizierten Version angeboten, um die Arme nicht durch das Körpergewicht zu belasten. Das ist von Bedeutung, um die Wundheilung und den Lymphfluss nicht zu stören.
Für viele Asana haben wir unterschiedliche Versionen angeboten, damit eine Frau, die sich während der Zeit ihrer Chemotherapie geschwächt fühlt, z. B. im Sitzen üben kann. Da ständig neue Teilnehmerinnen dazukommen konnten, haben wir mit Vorsicht in die Stunde eingeführt und in der Rückenlage begonnen. Diese ruhige Einstimmung ließ es zu, sich auf der Matte einzurichten und z. B. auch den Redonbeutel, der das Operationssekret auffängt, sicher abzulegen.
Bei den ersten Übungen ging es um die Mobilisierung der großen Gelenke in der Rückenlage. Koordinationsübungen verlangten Konzentration und lenkten die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper. Atemübungen im Sitzen folgten auf diesen Einstieg.
Hier ging es darum, den Brustraum zu weiten und gleichzeitig den Stress wegzuatmen. Die Synchronisierung von Bewegung und Atmung erzeugte Sicherheit und Konzentration und ermutigte die Frauen, weitere Dehnungen mitzumachen. Augenübungen, bei denen wiederum auch die Armbewegungen einbezogen wurden, schlossen diesen Teil ab. Dann folgten Standübungen, bei denen es um die Kräftigung der Arme und Beine sowie um die Verbesserung der Balance ging. Übungen zur Stärkung der Bauchmuskeln führten wieder auf die Matte zurück. Die Entspannung erfolgte durch Aufmerksamkeitslenkung. Die Stunde wurde durch eine Nasenwechselatmung im Sitzen und ein gemeinsames Tönen abgeschlossen.

Viveka

Können Sie einmal Reaktionen der Frauen beschreiben?

Dr. Ingrid Kollak

Am auffälligsten war der Unterschied in den Gesichtern der Frauen vor und nach der Yogastunde. Die Frauen, die zu uns in den Yogaunterricht kamen, hatten sich ja freiwillig bereit erklärt. Sie hatten also positive Erwartungen, lächelten, waren freundlich. Trotz dieser sichtbar positiven Haltung und Freundlichkeit wirkten die Frauen unkonzentriert und abwesend. Als Irrlichter hat eine Teilnehmerin neu hinzukommende Frauen einmal sehr treffend bezeichnet.
Diese freundliche Unbestimmtheit wechselt ganz deutlich hin zu einer Entspannung und Konzentration. Vielleicht ist es schon zu viel, eine gewisse Zuversicht zu erkennen, aber in die Richtung ging es. Hörbar wurde es auch beim Tönen. Kleine Stimmen gewannen nach dem Yoga und mit den anderen hörbar an Energie.

Viveka

Konnten Sie diese subjektiven Beobachtungen durch Daten bekräftigen?

Dr. Ingrid Kollak

Wir haben im Wesentlichen mit zwei Fragebögen gearbeitet, die bereits getestet und in anderen Studien eingesetzt wurden: den FACT-B, Version 4 functional Assessment of Cancer Therapy for women with breast cancer und den EORTC QLQ-C30. Quality of Life questionnaire by the European Organization for Research and Treatment of Cancer Beide erfassen die körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen durch mehrere Fragen zu diesen Bereichen.

Einige Ergebnisse sind in den beiden folgenden Diagrammen dargestellt. Die Interventionsgruppe hat die Kennzeichnung i, die Wartegruppe w; die Zahlen stehen für den jeweiligen Messzeitpunkt, i1 meint also die erste Messung in der Interventionsgruppe mit Beginn der Übungen, die Zahlen 2,3 und 4 geben Messungen zu späteren Zeitpunkten wieder.

Abb. 3

In Abb. 3 wird ein unterschiedliches körperliches Wohlbefinden nach der Operation deutlich im Vergleich der beiden Gruppen, (i1 und w1).
Das ist damit zu erklären, dass 18 % der Frauen aus der Interventionsgruppe und nur 5 % der Frauen aus der Wartegruppe eine Ablatio (Brustabnahme) hatten. Alle anderen Frauen hatten eine brusterhaltende Operation.
Obwohl die Ausgangssituation der Frauen in der Interventionsgruppe schlechter war, ging es ihnen nach fünf Wochen und damit zehnmaligem Yoga (zum Zeitpunkt 2) körperlich deutlich besser, als den Frauen der Wartegruppe, die keinen Yoga gemacht hatten (i2 und w2).
Die Frauen der Wartegruppe holten auf, nachdem sie auch zehnmal an der Yogaklasse teilgenommen hatten (w3), blieben aber etwas hinter dem Ergebnis der Sofortgruppe (i2 und w3).
Nach drei Monaten geht es den Frauen aus beiden Gruppen besser als nach der Operation. Allerdings scheinen die Frauen aus der Wartegruppe deutlich weniger stark durch die Therapien belastet zu sein (i3 und w4).

Abb. 4

In Abb. 4 ist der Unterschied zwischen den beiden Gruppen nach der Operation erneut deutlich zu sehen (i1 und w1). Die Angst vor dem Ergebnis der Operation und dem neuen Körperbild ist sehr groß. Die Effekte des Yoga auf das psychische Wohlbefinden fallen noch eindeutiger aus (i2 und w2). Die Frauen der Wartegruppe holen auf (w3), bleiben aber auch hier etwas hinter dem Ergebnis der Frauen aus der Sofortgruppe (w3 und i2).
Nicht zuletzt zeigt sich, wie die Wirkung des Yoga abnimmt, wenn ein regelmäßiges Üben aufhört (i3 gegenüber i2). Auch hier ist ein großer Unterschied zwischen den Frauen der beiden Gruppen zu sehen (i3 und w4), der nur durch die weitere Auswertung der demografischen Daten über z. B. Alter und Operationsart aufzuklären ist.

Viveka

Nun gibt es ja viele Einflussfaktoren auf die Frauen während der Studie. Wie genau lässt sich der Einfluss des Yoga feststellen?

Dr. Ingrid Kollak

Es gibt unendlich viele Einflussfaktoren, die schwer aus den Berechnungen herauszurechnen sind. Darum ist es gut, wenn möglichst viele Personen an einer Studie teilnehmen und alle Einflussfaktoren über möglichst viele Teilnehmer verteilt sind. Wir haben die Daten von 93 der insgesamt 106 Teilnehmerinnen auswerten können. Das ist im Vergleich mit anderen Yogastudien schon eine ganz ordentliche Anzahl. Zudem können die Ergebnisse durch statistische Rechenverfahren überprüft werden. Z. B. kann ein Ergebnis zum Alter der Teilnehmerinnen oder zur Art ihrer Operation ins Verhältnis gesetzt werden. Wenn wir von 93 befragten Frauen ausgehen, dann sind 37 Frauen (40 %), die weiter Yoga machen, ein hervorragendes Ergebnis.

Viveka

Wie lautet Ihr persönliches Fazit aus der Studie?

Dr. Ingrid Kollak

Die von uns beobachtete und von den Frauen empfundene und mitgeteilte positive Wirkung des Yoga konnte durch die Studie belegt werden.

  • Sowohl die körperliche Fitness als auch das psychische Wohlergehen wurde durch Yoga nachweislich verbessert.
  • Yoga hat deutlichere Effekte, wenn mit dem Üben bald nach der Operation begonnen wird.
  • Die Wirkung des Yogas reduziert sich, wenn nicht regelmäßig geübt wird.
  • Darüber hinaus haben wir gelernt, dass die notwendigen Behandlungen nach der Operation – Chemotherapie, Bestrahlung, Hormon- und Immunbehandlung – die Wirkung des Yoga beeinflussen.
  • Offene Yoga-Klassen sprechen die Frauen an und lassen sich gut in die Behandlung integrieren.
  • Asana in modifizierten Variationen anzubieten, ermöglicht es den Frauen, auf ihrem jeweils aktuellen Level des Wohlergehens aktiv zu sein.
  • Die Grafik zeigt das Nachlassen der Wirkung, wenn der Yogaunterricht beendet wurde.

Viveka

Haben Sie Daten darüber, wie viele Frauen beim Yoga geblieben sind?

Dr. Ingrid Kollak

Diese Frage haben wir tatsächlich den Frauen gestellt. Nach zehnmaliger Teilnahme an der Yogaklasse haben wir gefragt, ob sie beabsichtigen, weiterhin Yoga zu praktizieren. Nach drei Monaten haben wir gefragt, ob sie weiterhin Yoga geübt haben. Beim Messpunkt (i2 und w3) haben uns 49 Frauen geantwortet. Von ihnen haben 42 (86 %) weiter Yoga machen wollen. Nach drei Monaten (i3 und w4) haben uns 52 Frauen geantwortet, von denen 37 weiter Yoga machten.

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Das Interview

Viveka

Frau Kollak, was hat Sie dazu bewogen, die Wirkung von Yoga bei Frauen nach Brustkrebsoperationen zu untersuchen?

Dr. Ingrid Kollak

Am Anfang stand ein Zufall: Vor vier Jahren habe ich Dr. Isabell Utz-Billing auf einer Konferenz kennengelernt. Wir waren uns sympathisch und dachten über eine mögliche Kooperation nach. Ich wollte gerne über die Wirksamkeit von Yoga arbeiten, sie war als Ärztin eines bekannten Brustkrebszentrums daran interessiert, die über die medizinische Versorgung hinausgehende Betreuung weiter auszubauen und zu vertiefen.
Dazu kommen die objektiven Daten: Brustkrebs ist weltweit die am häufigsten diagnostizierte Tumorerkrankung bei Frauen; in Europa gehen über 13 % aller Krebsdiagnosen auf das Konto von Brusttumoren. Nicht zuletzt ist die Tumortherapie sehr kräftezehrend. Das wird bei der Behandlung bisher nicht ausreichend berücksichtigt.

Viveka

Können Sie das einmal genauer ausführen?

Dr. Ingrid Kollak

Für die meisten Frauen kommt die Brustkrebsdiagnose vollkommen überraschend. Aus einer Alltagssituation mit Arbeit und Privatleben, Verpflichtungen und Vergnügungen, in der sie keine Schmerzen oder Beeinträchtigungen verspüren, geraten Frauen in einen für sie undurchsichtigen und anstrengenden Prozess der Diagnostik und Therapie mit unbekanntem Ausgang. Ein eigener Tastbefund oder eine Vorsorgeuntersuchung lassen den Verdacht auf einen Tumor aufkommen, und eine völlige Verunsicherung greift um sich. Diese Unsicherheit bezieht sich auf den Ablauf der Untersuchungen und Behandlungen wie auch auf das Ergebnis und seine Auswirkungen auf das eigene Leben. Die Begleitung der Frauen ist darum ebenso wichtig wie die Behandlung. Das ist zwar bekannt, aber über die Therapie klären die Therapeut/innen höchst unterschiedlich auf, und die begleitende Behandlung zielt nicht immer auf Stärkung und Selbstständigkeit der Frauen.

Viveka

Wie sollte diese Stärkung und Selbstständigkeit der betroffenen Frauen nun durch Yoga erreicht werden?

Dr. Ingrid Kollak

Unsere Studie hieß: Untersuchung zur Auswirkung von Yoga-Übungen auf die körperliche Fitness und das psychische Wohlergehen bei Patientinnen mit Mammakarzinom. Unsere Absicht war es, die Frauen durch Yoga körperlich zu kräftigen und beweglicher zu machen und gleichzeitig Entspannung und Konzentration zu fördern, damit sie ihre psychischen Reserven und ihr Selbstvertrauen wieder spüren und ausbauen können.

Viveka

Wie wurde die Studie aufgebaut, um diese Absichten umzusetzen und nachweisen zu können?

Dr. Ingrid Kollak

In der Literatur haben wir Studien gefunden, in denen sogenannte Entspannungsverfahren miteinander verglichen wurden. Diese Art der Studien hat mir nie ganz zugesagt. Denn ich wollte gerne mit allen Frauen Yoga machen und ich wollte nicht gerne Yoga mit Qigong, Tai-Chi oder Gesprächskreisen vergleichen.
Ich selbst habe mich für Yoga entschieden, aber das ist eine positive Entscheidung für etwas, das für mich gut ist. Es besteht aber für mich kein Bedarf, mich abzugrenzen oder Yoga mit anderen Angeboten zu vergleichen.
Menschen sollen eine Wahl haben und herausfinden, was gut für sie ist. Selbstbestimmung ist für mich wichtig. Das gilt im Prozess der Behandlung und darüber hinaus. Wir haben uns darum für einen Studienablauf entschieden, der zwar ein wenig kompliziert ist, dafür aber genau den gerade genannten Wünschen entspricht:
Alle machen Yoga – allerdings zeitlich versetzt. Es gibt eine Interventionsgruppe, die sofort, d. h., ein, zwei Tage nach der Operation Yoga übt und eine Wartegruppe, die nach fünf Wochen beginnt und als Kontrollgruppe fungiert. Denn zum Zeitpunkt der zweiten Messung haben die Frauen der Interventionsgruppe über fünf Wochen zehnmal Yoga gemacht, die Frauen der Wartegruppe haben keinen Yoga gemacht.
Die Einteilung der Frauen erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Jede Frau, die mitmachen wollte, zog einen Umschlag, in dem dann entweder Interventions- oder Wartegruppe stand. Um die Langzeitwirkung ermitteln zu können, wurden alle Teilnehmerinnen nach drei Monaten erneut befragt. Die Studie erstreckte sich über den Zeitraum vom April 2008 bis November 2009. In dieser Zeit fand regelmäßig ohne Ausfall oder Unterbrechungen zweimal wöchentlich Yogaunterricht statt. Insgesamt haben wir 122-mal Yogaunterricht angeboten, mit jeweils rund 75 Minuten. Bei mehr als zwei Drittel der Stunden war eine zweite Yogalehrerin dabei.

Viveka

Wie sah der Yogaunterricht aus?

Dr. Ingrid Kollak

Es gab das Angebot einer offenen Yoga-Klasse, in die jederzeit Frauen neu hinzukommen konnten. Die eine kurz nach ihrer Operation, die anderen nach fünf Wochen Wartezeit. Nach der zehnmaligen Teilnahme konnten Frauen weiter mitmachen, da genug Raum vorhanden war.
Manche Āsana haben wir für alle in einer modifizierten Version angeboten, um die Arme nicht durch das Körpergewicht zu belasten. Das ist von Bedeutung, um die Wundheilung und den Lymphfluss nicht zu stören.
Für viele Asana haben wir unterschiedliche Versionen angeboten, damit eine Frau, die sich während der Zeit ihrer Chemotherapie geschwächt fühlt, z. B. im Sitzen üben kann. Da ständig neue Teilnehmerinnen dazukommen konnten, haben wir mit Vorsicht in die Stunde eingeführt und in der Rückenlage begonnen. Diese ruhige Einstimmung ließ es zu, sich auf der Matte einzurichten und z. B. auch den Redonbeutel, der das Operationssekret auffängt, sicher abzulegen.
Bei den ersten Übungen ging es um die Mobilisierung der großen Gelenke in der Rückenlage. Koordinationsübungen verlangten Konzentration und lenkten die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper. Atemübungen im Sitzen folgten auf diesen Einstieg.
Hier ging es darum, den Brustraum zu weiten und gleichzeitig den Stress wegzuatmen. Die Synchronisierung von Bewegung und Atmung erzeugte Sicherheit und Konzentration und ermutigte die Frauen, weitere Dehnungen mitzumachen. Augenübungen, bei denen wiederum auch die Armbewegungen einbezogen wurden, schlossen diesen Teil ab. Dann folgten Standübungen, bei denen es um die Kräftigung der Arme und Beine sowie um die Verbesserung der Balance ging. Übungen zur Stärkung der Bauchmuskeln führten wieder auf die Matte zurück. Die Entspannung erfolgte durch Aufmerksamkeitslenkung. Die Stunde wurde durch eine Nasenwechselatmung im Sitzen und ein gemeinsames Tönen abgeschlossen.

Viveka

Können Sie einmal Reaktionen der Frauen beschreiben?

Dr. Ingrid Kollak

Am auffälligsten war der Unterschied in den Gesichtern der Frauen vor und nach der Yogastunde. Die Frauen, die zu uns in den Yogaunterricht kamen, hatten sich ja freiwillig bereit erklärt. Sie hatten also positive Erwartungen, lächelten, waren freundlich. Trotz dieser sichtbar positiven Haltung und Freundlichkeit wirkten die Frauen unkonzentriert und abwesend. Als Irrlichter hat eine Teilnehmerin neu hinzukommende Frauen einmal sehr treffend bezeichnet.
Diese freundliche Unbestimmtheit wechselt ganz deutlich hin zu einer Entspannung und Konzentration. Vielleicht ist es schon zu viel, eine gewisse Zuversicht zu erkennen, aber in die Richtung ging es. Hörbar wurde es auch beim Tönen. Kleine Stimmen gewannen nach dem Yoga und mit den anderen hörbar an Energie.

Viveka

Konnten Sie diese subjektiven Beobachtungen durch Daten bekräftigen?

Dr. Ingrid Kollak

Wir haben im Wesentlichen mit zwei Fragebögen gearbeitet, die bereits getestet und in anderen Studien eingesetzt wurden: den FACT-B, Version 4 functional Assessment of Cancer Therapy for women with breast cancer und den EORTC QLQ-C30. Quality of Life questionnaire by the European Organization for Research and Treatment of Cancer Beide erfassen die körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen durch mehrere Fragen zu diesen Bereichen.

Einige Ergebnisse sind in den beiden folgenden Diagrammen dargestellt. Die Interventionsgruppe hat die Kennzeichnung i, die Wartegruppe w; die Zahlen stehen für den jeweiligen Messzeitpunkt, i1 meint also die erste Messung in der Interventionsgruppe mit Beginn der Übungen, die Zahlen 2,3 und 4 geben Messungen zu späteren Zeitpunkten wieder.

Abb. 3

In Abb. 3 wird ein unterschiedliches körperliches Wohlbefinden nach der Operation deutlich im Vergleich der beiden Gruppen, (i1 und w1).
Das ist damit zu erklären, dass 18 % der Frauen aus der Interventionsgruppe und nur 5 % der Frauen aus der Wartegruppe eine Ablatio (Brustabnahme) hatten. Alle anderen Frauen hatten eine brusterhaltende Operation.
Obwohl die Ausgangssituation der Frauen in der Interventionsgruppe schlechter war, ging es ihnen nach fünf Wochen und damit zehnmaligem Yoga (zum Zeitpunkt 2) körperlich deutlich besser, als den Frauen der Wartegruppe, die keinen Yoga gemacht hatten (i2 und w2).
Die Frauen der Wartegruppe holten auf, nachdem sie auch zehnmal an der Yogaklasse teilgenommen hatten (w3), blieben aber etwas hinter dem Ergebnis der Sofortgruppe (i2 und w3).
Nach drei Monaten geht es den Frauen aus beiden Gruppen besser als nach der Operation. Allerdings scheinen die Frauen aus der Wartegruppe deutlich weniger stark durch die Therapien belastet zu sein (i3 und w4).

Abb. 4

In Abb. 4 ist der Unterschied zwischen den beiden Gruppen nach der Operation erneut deutlich zu sehen (i1 und w1). Die Angst vor dem Ergebnis der Operation und dem neuen Körperbild ist sehr groß. Die Effekte des Yoga auf das psychische Wohlbefinden fallen noch eindeutiger aus (i2 und w2). Die Frauen der Wartegruppe holen auf (w3), bleiben aber auch hier etwas hinter dem Ergebnis der Frauen aus der Sofortgruppe (w3 und i2).
Nicht zuletzt zeigt sich, wie die Wirkung des Yoga abnimmt, wenn ein regelmäßiges Üben aufhört (i3 gegenüber i2). Auch hier ist ein großer Unterschied zwischen den Frauen der beiden Gruppen zu sehen (i3 und w4), der nur durch die weitere Auswertung der demografischen Daten über z. B. Alter und Operationsart aufzuklären ist.

Viveka

Nun gibt es ja viele Einflussfaktoren auf die Frauen während der Studie. Wie genau lässt sich der Einfluss des Yoga feststellen?

Dr. Ingrid Kollak

Es gibt unendlich viele Einflussfaktoren, die schwer aus den Berechnungen herauszurechnen sind. Darum ist es gut, wenn möglichst viele Personen an einer Studie teilnehmen und alle Einflussfaktoren über möglichst viele Teilnehmer verteilt sind. Wir haben die Daten von 93 der insgesamt 106 Teilnehmerinnen auswerten können. Das ist im Vergleich mit anderen Yogastudien schon eine ganz ordentliche Anzahl. Zudem können die Ergebnisse durch statistische Rechenverfahren überprüft werden. Z. B. kann ein Ergebnis zum Alter der Teilnehmerinnen oder zur Art ihrer Operation ins Verhältnis gesetzt werden. Wenn wir von 93 befragten Frauen ausgehen, dann sind 37 Frauen (40 %), die weiter Yoga machen, ein hervorragendes Ergebnis.

Viveka

Wie lautet Ihr persönliches Fazit aus der Studie?

Dr. Ingrid Kollak

Die von uns beobachtete und von den Frauen empfundene und mitgeteilte positive Wirkung des Yoga konnte durch die Studie belegt werden.

  • Sowohl die körperliche Fitness als auch das psychische Wohlergehen wurde durch Yoga nachweislich verbessert.
  • Yoga hat deutlichere Effekte, wenn mit dem Üben bald nach der Operation begonnen wird.
  • Die Wirkung des Yogas reduziert sich, wenn nicht regelmäßig geübt wird.
  • Darüber hinaus haben wir gelernt, dass die notwendigen Behandlungen nach der Operation – Chemotherapie, Bestrahlung, Hormon- und Immunbehandlung – die Wirkung des Yoga beeinflussen.
  • Offene Yoga-Klassen sprechen die Frauen an und lassen sich gut in die Behandlung integrieren.
  • Asana in modifizierten Variationen anzubieten, ermöglicht es den Frauen, auf ihrem jeweils aktuellen Level des Wohlergehens aktiv zu sein.
  • Die Grafik zeigt das Nachlassen der Wirkung, wenn der Yogaunterricht beendet wurde.

Viveka

Haben Sie Daten darüber, wie viele Frauen beim Yoga geblieben sind?

Dr. Ingrid Kollak

Diese Frage haben wir tatsächlich den Frauen gestellt. Nach zehnmaliger Teilnahme an der Yogaklasse haben wir gefragt, ob sie beabsichtigen, weiterhin Yoga zu praktizieren. Nach drei Monaten haben wir gefragt, ob sie weiterhin Yoga geübt haben. Beim Messpunkt (i2 und w3) haben uns 49 Frauen geantwortet. Von ihnen haben 42 (86 %) weiter Yoga machen wollen. Nach drei Monaten (i3 und w4) haben uns 52 Frauen geantwortet, von denen 37 weiter Yoga machten.

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